Alina Cojocaru und Carsten Jung beim Pas de Deux aus „Liliom“ von John Neumeier

Alina Cojocaru und Carsten Jung beim Pas de Deux aus „Liliom“ von John Neumeier

Sprache trifft Tanz

Hamburgs Ballett-Intendant John Neumeier erhält den Gustav-Gründgens-Preis 2012

Hamburg, 23/04/2012

„Wenn ich nicht sinnen oder dichten soll so ist das Leben mir kein Leben mehr. Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen, wenn er sich schon dem Tode näher spinnt. Das köstliche Geweb entwickelt er aus seinem Innersten und lässt nicht ab, bis er in seinen Sarg sich eingeschlossen.
O geb ein guter Gott uns auch dereinst das Schicksal des beneidenswerten Wurms, im neuen Sonnental die Flügel rasch und freudig zu entfalten.“ J.W. Goethe, aus: Torquato Tasso

Dieses Goethe-Zitat findet sich in der Ausstellung „Des Teufels Intendant“, die anlässlich der Verleihung des Gustav-Gründgens-Preises 2012 im Malersaal des Hamburger Schauspielhauses zu sehen war – leider nur an diesem einen Tag, zusammengestellt von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Rahlstedt im Rahmen eines Leistungskurses Deutsch. Sie würdigten damit nicht nur den großen Theatermann, der das Schauspielhaus zwischen 1955 und 1963 zur bedeutendsten Sprechbühne Deutschlands machte, sondern zeigten durchaus auch seine Widersprüchlichkeit und die dunklen Seiten seiner Biographie als Generalintendant des Preußischen Staatstheaters in Nazi-Deutschland. Das Zitat steht für das, was John Neumeier mit Gründgens und beide mit Goethe verbindet: die kompromisslose Liebe zur Kunst.

Für Goethe war es das Dichten, für Gründgens das Schauspielern und Inszenieren. Für Neumeier ist es der Tanz – und es war ihm schon immer ein zentrales Anliegen, die Kunst umfassend und interdisziplinär zu verstehen, sich nicht auseinanderdividieren oder die verschiedenen Sparten gegeneinander ausspielen zu lassen. Der Gustav-Gründgens-Preis wurde dieses Jahr erstmals verliehen, gestiftet vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg und dem Hamburger Lions Club, ausgestattet mit 15.000 Euro vom Sponsor Mercedes Benz.

Alle zwei Jahre sollen künftig damit Persönlichkeiten geehrt werden, die einen prägenden Beitrag zur darstellenden Kunst geleistet haben. Der Schirmherr der diesjährigen Verleihung, Hamburgs Alt-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, sah durchaus Parallelen zwischen Gründgens und Neumeier: Gründgens habe durch seine pantomimischen Elemente die Schauspielkunst zu neuer Form entwickelt. Neumeier habe dem Tanz „eine gewaltige erzählerische Kraft“ verliehen: „Musik und Bewegung haben durch seine Choreografie eine dritte, dynamische Dimension erschlossen, die einen neuen Stil der Ballettkunst entstehen ließ.“ Beide, Gründgens und Neumeier, hätten Hamburg weit über die Grenzen der Stadt und des Landes hinaus Ruhm und Weltgeltung gebracht.

Laudator Christian Quadflieg, Sohn des „Faust“-Darstellers Will Quadflieg in Gründgens Inszenierung und Gegenpart zu dessen legendärem Mephisto, betonte Neumeiers intellektuellen Zugriff auf den Tanz: „Zuerst wird gedacht, dann wird getanzt.“ Neumeier gehe es um die Projektion der inneren Welt auf die Bühne: „Bei ihm habe ich das Gefühl, als würden die Menschen auch sprechen, nicht nur tanzen.“ Aber natürlich wurde zu Neumeiers Ehren weniger gesprochen als getanzt: Die Abschlussklassen der Ballettschule des Hamburg Ballett zeigten einen Ausschnitt aus Neumeiers „Spring and Fall“ aus 1991, das Bundesjugendballett tanzte „Muted“ zu einem live auf der Bühne gespielten Klavierquartett des zeitgenössischen Komponisten Peteris Vasks, eine erst vor wenigen Tagen entstandene neue Choreografie von Sasha Riva, Tänzer beim Hamburg Ballett. Schon im Rahmen der „Jungen Choreographen“ bewies er seine Begabung (siehe tanznetz vom 28.3.2012), hier lieferte er einmal mehr eine für seine 21 Jahre bemerkenswert reife und in sich schlüssige Arbeit ab. Danach servierte John Neumeier ein Überraschungs-Bonbon in Form der Choreografie einer Schülerin der Abschlussklassen der Ballettschule, bevor Alina Cojocaru als Gast und Carsten Jung vom Hamburg Ballett den scheuen und zutiefst berührenden Liebes-Pas de Deux aus Neumeiers „Liliom“ darboten. Hier zeigte sich überzeugend, wie poetisch Tanz sein kann – in der Bewegungssprache, vor allem aber auch in der Darstellung, wenn er mit so viel Liebe und Hingabe getanzt wird.

Die Einnahmen der Benefiz-Matinee im ausverkauften Schauspielhaus teilen sich Sprache und Tanz: Zum einen wird damit eine Tournee des Bundesjugendballett in Hamburger Schulen und Seniorenhäuser finanziert, zum anderen die „Klassenkasse“ aufgefüllt, ein Fonds, der Theaterkarten für finanziell benachteiligte Schüler bezuschusst.

 

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