Ein Abend der Kontraste

Im Rahmen der Hamburger Balletttage gastiert das San Francisco Ballet erstmals in Deutschland

Hamburg, 28/06/2012

Es ist eine schöne Tradition, dass John Neumeier im Rahmen der Ballett-Tage eine andere Kompanie zu Gast hat. Dafür habe er, so betonte er auf der Pressekonferenz zu diesem Gastspiel, keine eigenen Gelder, sondern zweige die nötigen Mittel jeweils aus dem eigenen Etat ab. Denn: „Ich fühle mich verpflichtet, dem Hamburger Publikum zu zeigen, was anderswo getanzt wird.“ Dieses Jahr nun also das San Francisco Ballet, nach dem New York City Ballet und dem American Ballet Theatre die drittwichtigste und auch die älteste professionelle Tanzkompanie der USA. Und ein Ensemble, mit dem Neumeier manches verbindet - nicht nur, dass er selbst Amerikaner ist. Neben dem Königlich Dänischen Ballett ist es die einzige Kompanie weltweit, der Neumeier bisher „Die kleine Meerjungfrau“ überlassen hat, was dank zahlungskräftiger US-Sponsoren auch flugs auf DVD festgehalten wurde (und angesichts dessen fragt man sich dann schon, wann das endlich auch in der – darstellerisch deutlich stärkeren – Original-Besetzung passiert, und wann die großen Neumeier-Werke wie „Nijinsky“, „Sommernachtstraum“, „Nussknacker“, „Orpheus“, „Purgatorio“, „Liliom“ u.a. in dieser Weise dokumentiert werden).

Vier Kreationen hatten die Gäste im Gepäck: „7 for Eight“ von Helgi Tomasson, dem künstlerischen Leiter des Ensembles, „RAkU“ von Yuri Possokhov, einen Pas de Deux aus „Continuum“ und „Within the Golden Hour“ – beide von Christopher Wheeldon. Ein Abend der Kontraste – in jeder Hinsicht.

Der Einstieg hätte schlechter leider kaum sein können: „7 for Eight“ sind sieben vor allem auf Effekt bedachte choreografische Petitessen für acht TänzerInnen mit vielen Grand Jetés, gerissenen Battements, Piqué-Drehungen, Chenés und Arabesquen. Vielleicht hätte das alles einen besseren Eindruck hinterlassen, wenn die Hamburger Symphoniker unter Leitung von Martin West die Concerti von Johann Sebastian Bach nicht so grausam schlecht gespielt hätten. Keinen Deut besser war Michael McGraw am Flügel. So hatten die TänzerInnen alle Mühe, gegen das, was da aus dem Graben an Katzenmusik kam, anzutanzen. Und das sah man ihnen auch an.

Nach der Pause dann „RAkU“, eine tragische Liebesgeschichte aus Japan, in der Possokhov auch Anklänge an das traditionelle Nô-Theater mit einbaute. Die Story selbst ist mehr als trivial: Nachdem sich Mann und Frau – im Palast beschützt von vier kriegerischen Wächtern – gegenseitig ihre Liebe gestanden haben, kommt es, wie es kommen muss: Der Mann zieht in den Krieg, die Frau bleibt einsam zurück, von einem Tempelaufseher verfolgt und vergewaltigt. Von ihrem Mann bleibt ihr nur die Urne – überreicht von den vier Wächtern. Verzweifelt kippt die Frau seine Asche über sich aus und stirbt, von herabrieselndem Schnee begraben, über seinem Schwert ausgebreitet, während im Hintergrund der Palast in Flammen aufgeht. Possokhov spielt hier auf den Brand des Goldenen Pavillons in Kyoto 1950 an, aber ebenso auf die unerbittliche japanische Tradition der Selbstopferung, allerdings in einer Art und Weise, dass man sich mitten im Studio der 20th Century Fox glaubt. Die überaus biegsame und grazile, langgliedrige Chinesin Yuan Yuan Tan tanzt die Rolle der Frau durchaus eindrücklich, aber nie so, dass man ihr die Qualen wirklich abnimmt. Das ist passabel geschauspielert, aber nicht tief empfunden, mehr Spider Woman als Geisha. China und Japan – das waren schon immer große Gegensätze, tief verfeindete Länder. Mehr als einmal fragt man sich, was wohl die Japanerin Yuka Oishi vom Hamburg Ballett aus dieser Rolle gemacht hätte, ganz abgesehen von vielen Klischees, die in diesem Stück bedient werden, und die so gar nicht zu dem passen, was japanische Kultur im Kern wirklich ausmacht. Wenigstens wurde die dramatische Musik des japanischen Komponisten Shinji Eshima passabel gespielt (für den nötigen Hall wurden die Streicher allerdings elektronisch verstärkt).

Den Abend gerettet haben zwei Stücke von Christopher Wheeldon: ein wunderschöner, intimer Pas de Deux aus „Continuum“ zu Klaviermusik von Györgi Ligeti, und „Within The Golden Hour“ zu Musik von Ezio Bosso und Antonio Vivaldi. Beide Stücke belegten aufs Feinste, wie expressiv und vielfältig neoklassischer Tanz sein kann. Das sprühte nur so vor kanonisch ineinander verschachtelten Schrittkombinationen, und manches Mal hätte man sich gewünscht, das Ganze in Zeitlupe aus der Vogelperspektive verfolgen zu können. Schon vom Parkett aus entfaltete sich die Choreografie, als würde man durch ein Prisma schauen, in dem sich die Bewegungen immer wieder zu neuen Formationen sortieren. Von oben muss das noch augenfälliger gewesen sein.

Die TänzerInnen des San Francisco Ballet konnten hier unter Beweis stellen, dass sie technisch und tänzerisch auf höchstem Niveau tanzen. Nur an Ausdruckskraft mangelt es ihnen – und es ist einer der Gründe, warum Hamburg sich glücklich schätzen darf mit der eigenen Kompanie. Wenn eines „Hamburger Schule“ ist, dann das: Tanz kommt aus dem Herzen, aus der Seele, nicht nur aus Armen und Beinen.

 

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