Der Mann, der das deutsche Ballett in den Weltruhm geführt hat

John Neumeier zum 70. Geburtstag am 24. Februar - oder sollten wir lieber sagen: zu seinem offiziellen 70. Geburtstag, denn der ist ja umstritten?

oe
Stuttgart, 24/02/2012

Man ist so alt, wie man sich fühlt, sagt das Sprichwort. Also muss ich so an die hundert sein, denn so fühle ich mich, wenn ich mich mit meinem Rollator schwankend wie ein Blatt im Winde oder halbtrunken torkelnd außerhalb meiner Wohnung bewege. Und meine Geburtsurkunde, auf der 1927 steht? Der reinste Schwindel – eine Perfidie der Nazis, die mich bei Hitlers „Machtergreifung“ 1933 zum sechsjährigen Pimpf erklärten und mich damit für die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei reklamierten. Ein Nazi eben, wie die oe-Gegner schon immer vermuteten. Und John Neumeier? Der behauptet, in diesen Tagen siebzig zu sein – oder sich doch zumindest so fühlen. Also feiern wir heute seinen 70. Geburtstag und unsere Gedanken gehen zurück bis zu seinem Engagement bei John Cranko in Stuttgart 1963 – da war er gerade zum Twen avanciert. Und kreierte bereits drei Jahre später bei den Stuttgarter Noverre-Matineen seine ersten beiden Choreografien: „Aria da capo“ und „Haiku“.

Das ist nun fast ein halbes Jahrhundert her. Seither sind wir uns an den verschiedensten Orten immer wieder begegnet, seit den Vorbereitungen für das erste Buch über ihn, „John Neumeier unterwegs“, das 1972 in Darmstadt erschien, da war er schon Ballettchef in Frankfurt, und das Interview, das wir dafür führten, fand eben dort statt, wenn ich mich recht erinnere, in dem Appartement von Edmund Gleede, der damals mit den tollsten dramaturgischen Ideen schwanger ging. Ich kann hier unmöglich alle die Orte aufzählen, wo wir aufeinandergestoßen sind; beispielsweise in Monte-Carlo, wo er seine erste Choreografie für eine internationale Kompanie schuf („Stages and Reflections“ zu Musik von Benjamin Bitten, 1968 für das Harkness Ballet). Laufend dann in Hamburg, wo er seit 1973 tätig ist – demnächst also vierzig Jahre, so lange, wie meines Wissens kein anderer Choreograf am deutschen Theater gewirkt hat (nur Kurt Jooss kann mit ihm konkurrieren – wenn man von der Gründung seiner Tanzbühne 1924 in Münster ausgeht, inklusive seiner Emigrationsjahre, bis zu seinem Abschied vom Folkwang Tanztheater 1968).

Ich wünschte, ich könnte sagen, bis zu den Vorbereitungen für das neueste Buch über ihn, das 2010 in Hamburg erschienen ist – aber da war er schon so berühmt und in der ganzen Welt begehrt, dass wir keinen Termin mehr für ein persönliches Gespräch fanden und erst wieder bei der Vorstellung des fertigen Buches zusammengetroffen sind. Aber vielleicht fühlt er sich im nächsten Jahr dann gerade mal wie ein Vierzigjähriger, denn dann wird das Hamburg Ballett John Neumeier vierzig Jahre alt, und das war seine wirkliche Geburtsstunde, als der er in die Geschichte eingehen wird. Denn er hat es in den Weltruhm geführt, und seither dürfen wir uns zugehörig wissen zur Elite des internationalen Balletts, nachdem unsere derartigen vorherigen Anstrengungen immer wieder rasch versandet waren. Und dafür bedanken wir uns bei ihm und wünschen ihm toi-toi-toi! für die nächsten Jahrzehnte.

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