Verwirrspiel der Liebe

Die 271. Vorstellung von John Neumeiers "Ein Sommernachtstraum" seit der Premiere vor 34 Jahren

oe
Hamburg, 02/07/2011

Eigentlich wollte ich erst morgen mit der dritten Vorstellung von Neumeiers neuem „Purgatorium“ im Rahmen der 37. Hamburger Ballett-Tage beginnen. Doch dann geriet der heutige Abend so überwältigend, dass ich nicht anstehe, diesen „Sommernachtstraum“ zu den Sternstunden meiner über sechzigjährigen Kritikererfahrung zu rechnen. Nicht nur als ein Ballettereignis, sondern ein Theaterhöhepunkt – was den „Sommernachtstraum“ angeht, auf der Höhe des Salzburger Festspiel-„Sommernachtstraums“ von Max Reinhardt, anno 1925, und des Peter Brookschen „Midsummer Night‘s Dream“ von 1968. Eine Produktion von einer solchen dramaturgisch-choreografischen Stimmigkeit und einer so vollkommen harmonischen Ensemblequalität, dass ich versucht bin, sie der Kategorie des Welttheaters zuzurechnen. Sicher einer der größten deutschen Ballettabende nach dem Zweiten Weltkrieg oder die Mündigkeitserklärung des deutschen Balletts und die Eröffnung eines neuen Kapitels der Weltgeschichte des Balletts in der Traditionslinie von „La Sylphide“, „Giselle“, „Napoli“, „Schwanensee“, „Dornröschen“ und der Balanchine-Klassiker von „Apollon musagète“ bis zu „Agon“.

Von einer solchen theatralischen Fülle, dass ich mich total überwältigt fühlte – und mir schon vor der Pause das Ende herbeisehnte, weil ich das alles kaum noch verkraften konnte. Und das dargeboten in einer tänzerischen Perfektion, die atemberaubend war. Wie ist diese Kompanie in diesen fast vier Jahrzehnten gewachsen, zu welch einem darstellerischen Format haben sich ihre Tänzer-Akteure entwickelt, nicht nur ihre Solisten-Equipe, sondern auch das Corps als Identitätsdefinition! Wo soll man anfangen, mit dieser schier endlosen Liste von Héléne Bouchet und Joelle Boulogne via Alexandre Riabko, via Lloyd Riggins, Carsten Jung, Ivan Urban, Yohan Stegli bis zu Alexandr Trusch und Kiran West – und dann waren an diesem Abend Silvia Azzoni, Carolina Agüero, Anna Laudere, Otto Bubeníček, Thiago Bordin und Edvin Revazov nicht einmal beteiligt. Welch ein Abend, welch eine Vorstellung, die ein einziges Verwirrspiel der Liebe ist, wo jede jeden liebt und jeder jede und alle einander über Kreuz – und keiner mehr als John Neumeier SEIN Hamburg Ballett.

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