„Carmen“ von Goyo Montero

„Carmen“ von Goyo Montero

Tektonische Verschiebungen

Die interessante Spielplanpolitik des Nürnberger Ballettdirektors Goyo Montero

Nürnberg, 20/09/2011

Es ist sechs Monate her, es war kurz nach dem politischen Machtwechsel in Stuttgart, da kündigte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer „andere Verhältnisse in Süddeutschland“ an. Es sei aus mit der Zusammenarbeit in der sogenannten „Südschiene“, verkündete er, man habe es jetzt mit einem „Wettbewerb der Systeme“ zu tun. Nun wird in der Welt des Balletts nicht gewählt, auch wenn es ebenso kompetitiv zugeht. Nur eben anders. Verschiebungen in irgendwelchen Machtapparaten hinter den Kulissen geschehen oft ungesehen und lautlos. Und das Volk, das kommen soll, erteilt seine Zustimmung per Akklamation, bleibt weg oder hat, wenn es ehrlich zugeht, vorher mit der Tür geschlagen. Gekämpft wird um besetzte Plätze im Parkett und am Ende um das hohe immaterielle Gut des Renommees.

Diese Anerkennung lässt sich, so eine Strategie von mehreren, die sich gut bewährt haben, mit einem Repertoire von spezifischen, weil längst globalisierten Choreografien besorgen, die im Hinblick auf Ästhetik, Bewegungssprache und Narrativität bedeutende Wegmarken in der Entwicklung der Kunst gesetzt haben. Zu ihnen gehören Jiří Kylián, Hans van Manen, Mats Ek und William Forsythe. Alle vier sind längst zu Legitimationsmarkern geworden. Wer „einen“ Forsythe, Kylián, van Manen oder Ek im Repertoire hat, zählt zu den Global Playern im Spitzentanz. Es ist dabei nicht nur das Werk als Produkt, dessen Wirkungsästhetik und damit korrelierender Einkaufspreis dem Haus Glanz und Gloria verleiht. Ein Stück der Genannten von der eigenen Kompanie tanzen zu lassen, verweist auch auf eine vorhandene oder zu erlangende tänzerische und künstlerische Kompetenz. Und „ein Kylián“ muss anders getanzt werden als „ein Forsythe“.

Zwei ehrwürdige und weltweit anerkannte Zentren einer solch globalisierten Ballettkultur gibt es bislang auf der „Südschiene“: das Stuttgarter Ballett und das Bayerische Staatsballett in München. Beide führen jeweils mehrere Werke von William Forsythe, Jiří Kylián oder Mats Ek im Repertoire und kommunizieren über diese sowohl ihr kulturelles Selbstverständnis als auch ihre kulturellen Leistungen. Nun schickt sich in naher Nachbarschaft zu beiden das Staatstheater Nürnberg, angetrieben von Goyo Montero, an, aus demselben großen Werkportfolio heraus ein eigenes Repertoire aufzubauen. Der Unterschied zu den anderen beiden Häusern ist: Der Chef choreografiert auch eigene Werke. Seine klugen Repertoireerweiterungen entwickeln nicht nur einen Kontext, in dem sein Publikum im wahrsten Sinne des Wortes en passant in der europäischen Ballettgeschichte der Gegenwart zu lesen lernt. Auch stellt er sein eigenes Schaffen in diesen Horizont und fordert eine Bewertung auf ganz andere Art heraus. Die Spur dorthin hat der hochmotivierte Spanier bereits in der letzten Spielzeit mit dem in den nächsten Tagen, am 1.10. auf den Spielplan zurückkehrenden Abend aus Jiří Kyliáns‘ Choreografie „Sechs Tänze“ (1984), Nacho Duatos „Duende“ (1991) und seiner eigenen Kreation „Treibhaus“ (2011) gelegt - letzteres eine wirkungsmächtige und konsequent durchgehaltene Betrachtung der Metapher vom Leben als Theater.

Nun führt er sie mit einem dreiteiligen Abend aus Stücken von Mats Ek („A Sort of“, 2002), Johan Inger („Walking Mad“, 2001 beim Nederlands Dans Theatre 1 zum berühmten „Bolero“ von Maurice Ravel) und der von ihm selbst choreografierten Uraufführung „Black Bile“ am 21. April 2012 fort. Das Format des narrativen Abendfüllers bedient er darüber hinaus selbst. Seit drei Jahren fasziniert der Nachfolger der ehemaligen Tanztheater-Chefin Daniela Kurz am Staatstheater Nürnberg sein Publikum mit zeitgenössischen Neukonzeptionen des Handlungsballetts. Sowohl auf der Körper- und Bewegungsebene als auch im Inszenatorischen setzen seine Werke Erzählungen in Gang, die oft psychologisch ausgeleuchtet sind. In den narrativen Ordnungen, die Montero etabliert, werden jedoch oft andere Erzählungen gestiftet. Denn die Räume und Zeiten, in denen der Spanier dies geschehen lässt, sind weit geöffnet. Die Grenze zwischen Wirklichkeit und Traum, Realem und Irrealem, Außen- und Innenwelten verwischt immer wieder. Beschert werden dem Zuschauer grandiose, bildmächtige Gesamtkunstwerke aus Bewegung, Rhythmus und Musik. Markant sind die häufig auftretenden Gruppen- und Massenbewegungen, die immer wieder einen Kollektivkörper in Erscheinung treten lassen, durch den Tanz einfach nur so durchfließt. Der solistische Tanz wird dadurch entlastet, ein spannendes Novum im zeitgenössischen Ballett.

Monteros bisherige große Würfe hießen „Dornröschen“, „Romeo und Julia“ oder „Desde Otello“. Mit ihnen hat Montero nach den Jahren von Daniela Kurz als Direktorin des Tanztheaters am Hause das entzückte Nürnberger Tanzpublikum zurück in die moderne Ballettwelt geführt. In der jetzt beginnenden Spielzeit erobert er sich E.T.A. Hoffmanns gruselig-schöne Erzählung „Der Nussknacker“ (Premiere am 10. Dezember) und wagt sich zudem an eine Auseinandersetzung mit dem Mythos von „Don Juan“ (Premiere am 21. Juli 2012): ein Kernmotiv in der spanischen Kultur, von der sich der 36-Jährige ebenfalls kontinuierlich und selbstbewusst inspirieren lässt. So ganz nebenbei ist dadurch im Staatstheater Nürnberg auch ein kleiner südeuropäischer Kosmos entstanden.

www.staatstheater-nuernberg.de

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