Romantik, hinterfragt

Der neue Ballettabend mit Volpi, Spoerli und Wheeldon

oe
Karlsruhe, 12/03/2011

Was das Bundesverfassungsgericht und das Ballett des Badischen Staatstheaters miteinander gemeinsam haben? Dass sie beide in Karlsruhe residieren, Institutionen der Gediegenheit und Verlässlichkeit eher als des glitzernden Glamours! So auch jetzt wieder bei der jüngsten Premiere der Birgit-Keil-Kompanie. „Romantik“ verheißt der neue Dreiteiler. Es ist der erste Ballettabend nach der Verleihung des Anerkennungspreises des Deutschen Tanzpreises an den Karlsruher Generalintendanten Achim Thorwald, der als Knirps sein Erweckungserlebnis bei John Cranko sel. in Stuttgart hatte und seither als Ballettkolonisator die deutsche Theaterprovinz missioniert – erst in Freiburg, dann in Würzburg und seit 2002/03 in Karlsruhe, das er mit Hilfe von Birgit Keil aus seinem Ballettschlaf wachküsste und zum Kronprinz aus der Stuttgarter Dynastie kürte.

Und so bestätigte Karlsruhe auch diesmal wieder seine Abstammung vom Stuttgarter Ballettadel, indem es Demis Volpi, Stuttgarts jüngsten Spross seines Choreografen-Stammbaums, einlud, ein Ballett für die Badischen Staatstänzer zu kreieren: die „Capricen“, frei nach Paganini, vom Stuttgarter Helmut Lachenmann mit witzigen ironischen Aperçus versehen, für zweimal fünf Tänzerpaare. Und die hämmerten dann mit ihren Pas de bourrées gleichsam die tänzerischen Staccati in den Boden, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, sich mit den Steilvorlagen ihrer Battements in die Luft zu katapultieren. Eine hübsche „Caprice“ – romantisch? Na ja, jedenfalls weit entfernt von der Nostalgie der „Les Sylphides“ (die wir ja bereits in Karlsruhe hatten – und das sogar in ihrer pianistischen Urgestalt). Romantik dann zum Zweiten in Heinz Spoerlis „Nocturnes“ für zwei Ballerinen und sechs Kavaliere, Jahrgang 1997, magisch von Stefan Veselka aus dem Klavier beschworen. Traumtänzer, die einander quasi schlafwandelnd begegnen und wieder verlieren, eingeschmiegt in die zarten Kurvaturen der Musik, verstrickt in ihren verknoteten Beziehungen, die jedoch nicht halten und sich auflösen ins Nichts. Poetische Wachträume, geboren aus einer Sensibilität, die seismografisch auf die dolcissimo evozierten Klanggespinste reagiert, elegisch, sehnsuchtsvoll. Von Karlsruhes Exzellenzenprinzipals hauchzart exekutiert.

Und dann also als Finale „Variations sérieuses“ frei nach Mendelssohn: die ganze Truppe mit großem Theateraufgebot als Ballett im Ballett, vor und während der Vorstellung und sogar dem Katzenjammer hinterher, mitsamt den Bühnenarbeitern, die die Bühne aufwischen. Da sind sie alle, die Rivalitäten und Zickenkriege, wie wir sie nicht erst seit dem „Black Swan“-Film kennen, sondern schon aus Tudorschen „Gala Performance“- und „Red Shoes“-Zeiten. Von Christopher Wheeldon, dem angloamerikanischen Whizzkid, der nun schon zum zweiten Mal in Karlsruhe arbeitet (auch das eine Anerkennung des tänzerischen Qualitätsstandards der Kompanie, denn das Ballett entstand bereits vor zehn Jahren fürs New York City Ballet), von Wheeldon mit allen Raffinessen der amerikanischen „The Show Must Go On“-Routine gewürzt. Von den Karlsruher Tänzern mit Lust und Laune auf Teufel komm raus gemimt. Surprise, surprise: der Broadway in der badischen Residenz!

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern