Spitzig, spröde, spaßig

Choreografien von Demis Volpi, Heinz Spoerli und Christopher Wheeldon

Karlsruhe, 14/03/2011

Ein Ballettabend mit dem Titel „Romantik“, da sieht man Mädchen in weißen Tutus vor dem geistigen Auge oder dahingleitende Ballerinen in bauschigen Kleidern. Denkste. In Karlsruhe ist nur die Musik romantisch, getanzt wird an diesem erstaunlichen Abend spitzig, spröde und spaßig - „Romantik reloaded“ hätte das im trendigen Neusprech mancher Ballettdirektionen sicher geheißen, in Karlsruhe bleibt man zum Glück bei verständlichem Deutsch.

Der Stuttgarter Choreograf Demis Volpi beginnt seine „Capricen“ sofort mit seinem Markenzeichen, dem Klöppeln der Spitzenschuhe auf dem Boden – hier erklingt es als Trommelwirbel der schwebend über dem Boden gehaltenen Damen oder wenn sie in abgehackten, staksigen Bourrées über die Bühne trippeln, manchmal schwillt es gar noch in den Kulissen an. Volpi sucht die neuen Möglichkeiten für den Tanz auf Spitze weniger in der Dekonstruktion traditioneller Bewegungen, sondern direkt am Fuß der Ballerina, die er auch hier wieder schmerzhaft schräg auf die Spitze stellt. Und dennoch huldigt der junge Choreograf immer wieder den Posen und Positionen der reinen Danse d’école, der Schönheit des gestreckten Fußes, nur dass der hier plastischer, fast wie ein Messer aussieht. Das Spiel mit den Seitenkulissen, aus denen ständig neue Überraschungen hereinlugen, mysteriöse Effekte und Bilder wie die fluffigen Hals-Tutus, erinnert an seinen Stuttgarter Kollegen Marco Goecke, genau wie der Wechsel zwischen Zeitlupe und Rasanz: Gerade als man sich fragt, ob die Männer eigentlich nur Ballerinenhalter sind (immer wieder werden die Frauen von hinten umfasst und wie Schaufensterpuppen herumgetragen), wirbelt einer von ihnen in einer rasenden Manège über die Bühne. Durch längere Phasen scheinbaren Stillstands erprobt der Choreograf die Geduld seiner Zuschauer, dazu gehört in diesem Fall auch die merkwürdig episodische Bauart des Stücks, das anfangs entwicklungslos Effekt an Effekt reiht, bis später dann wenige, kurze Strukturen entstehen, etwa ein stafettenartiges Weitergeben der Aktion von Tänzerin zu Tänzerin. Die spitzige Violinmusik – Demis Volpi verwendet sechs der 24 Capricen des Geigenvirtuosen Niccolò Paganini – passt bestens zu diesem stachligen Tanz, genau wie das stark kontrastierende „Pression“ von Helmut Lachenmann, dessen Instrumentalgeräusche etwa das nervöse Ping-Pong-Hüpfen einer Gummipuppe zeitigen. Genau wie Goecke ist auch Volpi ein Choreograf der fantastischen Bilder – im Hintergrund pulsiert ein leuchtender Nebel, Wolkenschwaden ziehen, schließlich erhellt ein Spot eine Frau im langen Kleid zur einsamen Diva, deren Rock sich immer weiter aufbläht, um unter der Berührung ihrer Hände zu zittern und zu tanzen. Aber wie die Kostüme von Katharina Schlipf – weite, praktisch durchsichtige Hosen über hautfarbenen Rollkragentrikots, die irgendwie an Ausdruckstanz und 60er Jahre erinnern – haben die „Capricen“ trotz der vielen, vielen neuen Ideen noch einen winzigen Anflug des Ausprobierens, wie von einem Choreografen, der seine weiten Flügel gerade erst entfaltet.

Vor stilisiertem Blätterwald und silberglitzerndem Regenvorhang (fast sieht es aus wie im tropischen Urwald) lässt Heinz Spoerli in seinen „Nocturnes“ sechs Männer und zwei Frauen aneinander vorbei tanzen. Zu Chopin-Nocturnes, sehr schön gespielt von Stefan Veselka, verfällt der Zürcher Ballettdirektor in dem vierzehn Jahre alten Stück nicht in das fließende Idiom, zum dem ein Jerome Robbins von Chopins Musik immer wieder inspiriert wurde, sondern er lässt den Tanz in einer zögerlichen, fast spröden Distanz verharren. Gefasst, elegant und kühl geht man hier einander vorbei, wirft sich viele vergebliche Blicke zu und kommt einfach nicht zueinander. So dass der emotionale Überschwang der romantischen Musik bis zur Mitte dieses Abends paradoxerweise eher distanzierte Tanzverweigerung als ein Hingeben ans Sentiment zeitigt. Motivisch zusammengehalten wird Spoerlis Ballett von abstrakten Gesten der Hände – ein sorgfältiges Bewahren, ein nachdenkliches Betrachten des imaginär Gehaltenen, ein Öffnen und Freigeben. Die Karlsruher Tänzer interpretieren die Excercice in Gefühlsverweigerung weniger mit der unnahbar gleitenden Eleganz, die das Markenzeichen von Spoerlis Zürcher Truppe ist, stattdessen emotionaler und persönlicher.

Alles andere als seriös sind die „Variations sérieuses“, nach einem Teil der verwendeten Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy so getauft von Choreograf Christopher Wheeldon, der die liebevolle, etwas alberne Ballettparodie vor zehn Jahren für eine Gala des New York City Ballet schuf (die New York Times bezeichnete sie dann auch als „Gelegenheitswerk“). In Ian Falconers perspektivisch verzerrtem Bühnenbild blicken wir aus den Seitenkulissen auf eine Bühne, links der geschlossene Vorhang, rechts ein Hintergrundprospekt, dazwischen wird hektisch ein klassisches Ballett geprobt. Vom träumenden Corps-de-ballet-Mäuschen über den asketischen Ballettmeister und den feschen Solotänzer bis zur völlig überkandidelten Primaballerina sind alle da, mit wissender Liebe und einiger Ironie treibt Wheeldon die Backstage-Klischees des Balletts vor sich her - bis die offensichtlich kurzsichtige Ballerina beim spektakulären Sprung in die Kulisse knapp daneben hechtet, eine herrliche Pointe. Bevor zum Entzücken des männlichen Solisten das scheue Mädchen für sie einspringt, bekommen vier Bühnenarbeiter samt ihren Mopps eine kleine Einlage und die Inspizientin träumt in ihrer Latzhose vom sterbenden Schwan. Die zweite Hälfte hält dann trotz scheußlich-pinkfarbener Sylphidenkostüme eine ernsthafte Choreografie für den Premier Danseur parat, mit ein paar spektakulären Schwierigkeiten, die nach dem vorausgegangenen Chaos gar nicht recht auffallen – Flavio Salamanka fliegt virtuos über die kleine, imaginäre Bühne.

Mack Schlefer, ein Pianist des New York City Ballets, hat vier Klavierstücke Mendelssohns orchestriert, die abwechselnd in der Orchester- und der Klavierfassung eingespielt werden. Als reguläres Ballett mag die vergnügliche halbe Stunde kaum durchgehen, aber als großer Spaß für Ballettkenner. Dass Karlsruhe die nächste Station des britischen Choreografen nach seinem großen Erfolg mit „Alice“ beim Royal Ballet war (für die er nun als Nachfolger von Monica Mason hoch gehandelt wird), mag genauso erfreuen wie die Tatsache, dass trotz der beiden berühmten Namen Spoerli und Wheeldon dem jungen Demis Volpi das originellste Ballett des Abends gelungen ist.

www.staatstheater.karlsruhe.de

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