Pina Bauschs Vermächtnis „Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren“

3D-Tanz-Film von Wim Wenders

München, 23/02/2011

/img/redaktion/pinafilm6.jpg Jahrelang ist man zu Pina Bauschs Premieren nach Wuppertal gepilgert. Ein Ritual. Zuletzt hatte man nicht mehr so ganz den euphorisch wertschätzenden Blick, diese Empfindlichkeit der Wahrnehmung – wie ihre sensible tiefgründige Arbeit sie vom Zuschauer fordert. Doch jetzt Wim Wenders' in 3D gedrehte Dokumentation „Pina“. Da überwältigt es einen geradezu, in diesen vielfältigen Bildern so konzentriert noch einmal ihre große Künstlerschaft, ihr revolutionierendes Tanztheater zu erleben. Es ist nicht das ganze Werk, nicht die ganze Pina in diesen 100 Minuten. Das hätte der so plötzlich im Juni 2009 verstorbenen Bausch, die mit Erklärungen bei Proben (und gegenüber der Presse ohnehin) sehr zurückhaltend war, auch gar nicht entsprochen. Für sie gab es nicht das Abgeschlossene, das Ausformulierte, das Eindeutige „Es sind nicht die Worte“, sagt sie zu Beginn des Films, „Es ist nur eine Ahnung – und da beginnt dann auch wieder der Tanz“. So war sie.

/img/redaktion/pinafilm3.jpg Mit der geballten Wucht von Tanz beginnt diese Hommage: mit Bauschs für mich unerreichter Umsetzung von Strawinskys „Frühlingsopfer“ (1975). Gleich hier wird offenbar, was die 3D-Technik vermag: eine Tiefe des Raums, Haut zum Berühren nah, Schweiß, Keuchen, das rhythmische Herausschlagen der Bewegung aus der Mitte des Körpers, das absolut strenge Opfer-Drama in den Gesichtern – näher kann man am Tanz nicht dran sein. Intensiver nicht erfahren, dass die körperliche Bewegung unabdingbar nur „Übersetzung“ der inneren Bewegung ist, wie in dem dann schon zur schauspielnahen Tanztheaterphase gehörenden schwerblütig-herben „Café Müller“ (1978). Ein Stück, das auch jetzt noch zum Teil mit den ältergewordenen Tänzern der Uraufführung besetzt ist.

/img/redaktion/pinafilm4.jpg Alter – auch dies ein Triumph der Bausch – darf, kann durchaus noch tanzen. Und so schneidet Wenders bei „Kontakthof“ (1978) ganz logisch die original vom Wuppertaler Ensemble getanzte Version mit Bauschs Einstudierungen für 65-Jährige (2000) und für Jugendliche ab 14 (2008) ineinander. Aus diesen Klassikern wie auch aus dem wieder intensiv zum Tanz zurückkehrenden „Vollmond“ (2006) hat Wenders beispielhafte Szenen gewählt: subtile, nur mit Körpern dargestellte Metaphern für das konfliktreiche menschliche Miteinander, wie sie Bausch mit ihren Tänzern in minutiöser Probenarbeit entworfen hat. Dank dieser an und mit der Bausch gewachsenen Tänzer und ihrer kurzen klarsichtigen Statements, gelingt Wenders eine Art Annäherung an diese Ausnahmekünstlerin: an diese zarte, zerbrechliche Pina mit ihrer dennoch ungeheuren Kraft und ihrem Seelen-durchleuchtenden Blick. Und mit den in Wuppertals Parks und Fabrikhallen, in und unter der Schwebebahn und an Straßenrändern aufgenommenen Tanzszenen setzt er, sicher im Sinne der Bausch, auch der Stadt ein Denkmal, die ihr die Entwicklung ihrer Kunst ermöglichte und der sie trotz aller internationaler Berühmtheit treu geblieben ist. Es sollte ursprünglich ein gemeinsamer Film mit der Bausch werden. Jetzt kann man nur dankbar sein, dass Wenders das Projekt nach ihrem unerwarteten Tod nicht aufgab. Denn ohne diese Erinnerung an „Pina“, ohne ihr Vermächtnis „Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren“ wären wir um vieles ärmer.

Am 27.2. um 11 Uhr im Rio Kino München Gespräch mit Wim Wenders.

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