Oscar für Egon

Der Deutsche Tanzpreis ging mal wieder nach Stuttgart

Essen, 28/02/2011

Im Grunde war es einfach eine Fortsetzung der Stuttgarter Jubiläumsfestivitäten – die Protagonisten waren die gleichen, die Redner eigentlich auch, selbst zuschauermäßig war das Aalto-Theater in Essen fest in Stuttgarter Hand. Wieder einmal stand das Stuttgarter Ballett im Mittelpunkt bei der Verleihung des Deutschen Tanzpreises: der Hauptpreis ging an den ehemaligen Ersten Solisten Egon Madsen, der Tanzpreis Zukunft für Choreografie an Eric Gauthier von der kleinen Tanzkompanie Gauthier Dance im Stuttgarter Theaterhaus, und der Tanzpreis Zukunft für junge Tänzer an den Brasilianer Daniel Camargo, der vor eineinhalb Jahren von der Cranko-Schule ins Stuttgarter Ballett kam. Da auch sämtliche Laudatoren aus Stuttgart kamen (wo neben dem Tanzen offensichtlich auch die Kunst der freien Rede zur Grundausstattung der Ballettoffiziellen gehört), war man sozusagen en famille und fügte den Couch-Gesprächen aus den kürzlichen „Rückblicken“ im Kammertheater eben noch ein paar Anekdoten hinzu. Die Essener hatten schließlich noch nicht drüber gelacht. Marcia Haydée hielt wieder eine ihrer warmherzigen, humorvollen Reden, dieses Mal auf den „Prinz von Dänemark“ Egon Madsen, den John Cranko 1961 nach Stuttgart geholte hatte, wo er ihm bekanntlich viele wichtige Rollen auf den Leib kreierte, etwa Mercutio in „Romeo und Julia“ oder Lenski in „Onegin“. Madsen war auch der erste Armand in John Neumeiers inzwischen weltweit getanzter „Kameliendame“ und sehr viel später einer der Protagonisten des NDT III. In einer etwas gekürzten Version von Christian Spucks Erfolgsstück „Don Q.“ zeigte der 68-Jährige an der Seite von Gauthier, warum ihn Cranko liebte und warum er auch heute noch ein so außerordentlicher Tanzdarsteller ist: wegen seines feinen, liebenswerten, nie übertriebenen und immer perfekt getimten Humors, hinter dem fast immer eine weise und stille Melancholie lächelt. Wäre er Schauspieler geworden, er wäre ein großer Shakespeare-Darsteller gewesen.

Der Stuttgarter Ballettchef Reid Anderson lobte Eric Gauthier, den er als jungen Tänzer aus Kanada mit nach Stuttgart gebracht hatte, erzählte von dessen Aufstieg zu lokalem Rockstarruhm und schließlich zum Chef der kleinen Kompanie im Stuttgarter Theaterhaus. Der große Rummel um den Tanzpreis hat Gauthier Dance zunächst einmal das Leben gerettet, die Finanzierung fürs nächste Jahr steht. Der Deutsche Berufsverband für Tanzpädagogik kann sich nun also rühmen, eine Kompanie gerettet zu haben; klugerweise lobt die Urkunde vor allem das „Multi-Talent“ Gauthier und kapriziert sich weniger auf seine choreografischen Fähigkeiten, was angesichts des ersten Beitrags „Orchestra of Wolves“ wohl einfach nur peinlich gewesen wäre. Gauthier, in dessen Werkverzeichnis in der Festschrift zwanglos auch Stücke von Hans van Manen oder William Forsythe aufgenommen wurden, beherrscht nicht nur die neue Sparte der Tanz-Comedy, er kann manchmal durchaus auch Schritte originell verbinden, was er im rasanten Duo „Bang!“ bewies.

Tadeusz Matacz schließlich, der Direktor der John-Cranko-Schule, hob als Laudator weniger die technischen und körperlichen Qualitäten eines Starschülers Camargo hervor, als vielmehr dessen Künstlertum in jungen Jahren – seine Noblesse, seine Zurückhaltung, seine Geduld. Und der junge Brasilianer zeigte, denn getanzt wurde zwischen den vielen Reden auch, im „Don Quixote“-Pas-de-deux nicht nur Spektakuläres wie exquisit verlangsamte Pirouetten, sondern legte mit seiner fast noch besseren Partnerin Elisa Badenes eine Grandezza, ein Strahlen und Kokettieren mit den traditionellen Schritten an den Tag, das bei so blutjungen Tänzern wahrlich ungewöhnlich ist. Camargo, ein Schüler von Petr Pestov, ist ein außergewöhnlich schneller Tänzer mit einer reinen, schönen klassischen Linie, aber er zeigte in den modernen „Notations“ von Uwe Scholz auch, was für ein vielseitiger, spannender Interpret hier heranreift. Vielleicht sogar ein neuer Star – manchmal bricht schon eine glühende Intensität in ihm durch, ein Funkeln in den Augen; wenn er sich, leider noch zu selten, zu einem Lächeln entschließt, dann ahnt man fast, wie die Fans in Japan reihenweise tot umfallen. Diese Karriere könnte noch sehr spannend werden – wenn der junge Tänzer nicht durch zu viel frühes Lob überheblich wird, am 5. März könnte beim Erik-Bruhn-Wettbewerb in Toronto schon die nächste Auszeichnung winken.

Ob die vielen Preise – beim Berliner Tanzolymp wurde vor wenigen Wochen schon wieder ein Student der Cranko-Schule zum Sieger gekürt – auch den dringend notwendigen Neubau der Stuttgarter Ballettakademie befördern werden, steht in den Sternen, wie seit Jahren wird die Finanzierung weiter aufgeschoben. Selbst der vierte Preis blieb an diesem Abend im Ländle: Achim Thorwald, der scheidende Intendant des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe, bekam einen „Anerkennungspreis“, weil er an all seinen Stationen stets Tanz und Ballett gefördert hat: Ohne Intendanten wie ihn, wie Walter Erich Schäfer, Grischa Barfuß, Arno Wüstenhöfer oder August Everding, die den Tanz genauso schätzten wie Oper und Schauspiel, kann diese Sparte nicht blühen. Thorwalds Vater Josef Dünnwald war übrigens Crankos bevorzugter Kapellmeister gewesen, der kleine Achim hatte Madsen & Co. Auf der Bühne bewundert und später Birgit Keil als seine Ballettdirektorin nach Karlsruhe geholt. So schließt sich eben immer wieder der Kreis nach Stuttgart. Ein bisschen viel Stuttgart, wie man an diesem Abend im Aalto-Theater immer wieder hören konnte. Sicher hat die Kompanie seit Crankos Zeiten den Tanz in Deutschland und weltweit beeinflusst, aber schon wieder alle Preise nach Stuttgart? Vielleicht blieben deshalb zum ersten Mal bei einer Tanzpreisgala halbe Reihen leer.

Stuttgart ist nicht der Nabel der aktuellen deutschen Tanzwelt, was man bei sieben von 13 Tanzpreisen „Zukunft“ wohl vermuten müsste. Drei gingen nach Karlsruhe und drei nach Berlin, vom ersten Choreografie-Preisträger Thiago Bordin hat man seit dem Preis kein einziges Werk mehr zu sehen bekommen (andererseits hätte er die Auszeichnung als Tänzer durchaus verdient). Gibt es wirklich keine viel versprechenden Nachwuchstänzer in den anderen deutschen Ballettkompanien – die so hoch gelobte Mats-Ek-Giselle Gözde Özgür in München zum Beispiel, Alexandr Trusch oder Aleix Martinez in Hamburg? Wie die Entscheidungen über die Preisträger getroffen werden, nämlich spontan und unter vier Augen, das erläuterte der DbfT-Vorsitzende Ulrich Roehm an diesem Abend selbst: Daniel Camargo habe man bei einer Gala der Tanzakademien in Hamburg gesehen. „Wir sahen uns an, das war die Entscheidung“. Genau wie der Prix Benois, der sich so gerne als „Oscar der Tanzwelt“ aufspielt, wie der Nijinsky in Monte-Carlo oder der „Faust“ des Deutschen Bühnenvereins wird also auch der renommierte deutsche Tanzpreis von einer Jury (oder sollten wir Lobby sagen?) nach einem ominösen Regelwerk ausgekungelt; ja nicht einmal bei der hoch angesehenen Kritikerumfrage der Zeitschrift ballettanz wurde immer der Tänzer mit den meisten Stimmen zum „Tänzer des Jahres“ gekürt. Es leben die Oscars, auch wenn es da hinterher immer alle besser wissen wollen – da wird wenigstens abgestimmt.

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