Hochkultur vor der Polstergruppe

Gauthier Dance Mobil tanzt mit immer größerem Erfolg für kranke Kinder und Senioren

München, 29/03/2011

Es ist heiß in der Cafeteria des Altenheims Sankt Willibrord in Schwabing. Eric Gauthier und seine Tänzer von Gauthier Dance Mobil haben einen Scheinwerfer mitgebracht, der die Behelfsbühne beleuchtet: einen schwarzen, rechteckigen Tanzboden vor kuscheligen Sofas und Bücherregalen. „Was passiert hier?“, fragt eine rund 80-jährige Dame aufgeregt und nimmt umständlich Platz in ihrem Stuhl. „Nur die Ruhe“, muntert die Pflegerin sie auf, „sie sehen gleich Tänzer. Genießen sie es einfach.“ Unterdessen füllt sich der Raum mit Senioren in Rollstühlen und mit Gehhilfen.

Gauthier Dance, die Kompanie aus dem Stuttgarter Theaterhaus, bringt Tanz zu denen, die nicht mehr zum Tanz kommen können. „Wir bieten Tanz praktisch als Geschenk“, erklärt Eric Gauthier, „hauptsächlich für kranke Kinder und Senioren. Soweit ich weiß, ist das einzigartig in der Tanzszene.“ Und die Einrichtungen sind begeistert davon. „Unsere Bewohner fragen viel nach kulturellen Angeboten“, sagt Dorothee Fehn, stellvertretende Heimleiterin von Sankt Willibrord. „Doch viele können wegen der Treppen eben nicht mehr ins Theater. Wir sind dankbar, dass es so etwas gibt.“ Mittlerweile müsse er auch nicht mehr für sein Angebot werben, so Gauthier, ein ehemaliger Tänzer des Stuttgart Balletts. „Es fragen so viele an, dass die Wartezeit ungefähr ein Jahr beträgt. Wir besuchen sie der Reihe nach.“ Bislang profitierten davon vorwiegend Häuser in Stuttgart, doch mit Auftritten in Heilbronn, Erlangen, Luxemburg und München zeichnet sich nun langsam ein Expansionskurs der Idee ab.

Auch nach Platz wird die Spielstätte ein bisschen gewählt. Denn auf geringstem Raum Ballett zu tanzen, ist eine echte Herausforderung. Wo 50 bis 100 Leute hinein passen, kann die Kompanie normalerweise ihren Boden ausrollen. Trotzdem ist vieles nicht möglich: „Spitzentanz geht auf den harten Böden von Krankenhäusern und Altersheimen beispielsweise nicht“, sagt der 34-jährige Gauthier. „Heute haben wir leider auch keine Masken und Kostüme dabei, weil sie von der gestrigen Vorstellung noch in der Reinigung sind.“

Und auch die Tänzer brauchen besondere Pflege für Wohltätigkeitsauftritte. Immerhin tritt Gauthier Dance in den großen Häusern der Welt auf, die Mitglieder stammen von den weltbesten Kompanien. Um sie zu motivieren, muss der Chef ihnen immer wieder vor Augen halten, dass es sich gut anfühlt, einmal nicht für Ruhm und den Marktwert zu tanzen, sondern für die gesunde Seele. Solist Armando Braswell sieht es so: „Tanz ist oft selbstsüchtig. Hier kann ich etwas zurückgeben.“

Gauthier selbst wuchs in Kanada als Sohn eines auf Alzheimer und Parkinson spezialisierten Neurologen auf. Er kennt die Nöte von Patienten, die in ihren Einrichtungen praktisch isoliert von den darstellenden Künsten leben. Doch wer von der letzten Vorstellung noch schmerzende Füße hat oder einen leeren Kopf, wer erst vor zwei Wochen eingestellt wurde und das Hauptrepertoire noch lernen muss, möchte die Wohltätigkeit doch gerne auf später verschieben.

Die Zahl der Stücke, die Gauthier Dance Mobil zeigen kann, ist also entsprechend begrenzt. Heute, im Altenheim Sankt Willibrord, präsentiert die Truppe einfach dasselbe wie zwei Tage zuvor in der Heckscher Klinik für psychisch kranke Kinder. Dort war das junge Publikum restlos begeistert. Die Tänzer spielen einen Arbeitstag nach: Erst gibt es ein Training zu sehen, dann die Probe zu einem barocken Pas de Six, zuletzt ein fröhliches Stück mit Fischen, in dem die Zuschauer Schaumstoffteile als Fischfutter werfen dürfen. Alles munter moderiert von Eric Gauthier.

Die meisten Zuschauer freuen sich über die Improvisation der Profis – sie können die erschwerten Bedingungen nachvollziehen. Doch Manche kriegen das Programm auch in den falschen Hals. „Wie im Kindergarten“, moniert eine Zuschauerin, die im Leben sicher viel Gutes gesehen hat. Am Programm könnte man also noch feilen. Aber schließlich ist Gauthier Dance Mobil erstens ein Geschenk, und zweitens im fünften Jahr einer beispiellosen Probephase. Rund 700 Euro kostet die Truppe ein Auftritt, hauptsächlich für Technikpersonal. 2007, 2009 und 2010 steuerte die Stadt Stuttgart etwas bei, ebenso gehört der Star Care e.V. zu den Sponsoren, die sich im Übrigen aus dem Freundeskreis von Gauthier Dance zusammen setzen (120 oder 1200 Euro jährlich).

Noch gibt es keine Nachahmer auf demselben tänzerischen Niveau, das Eric Gauthier bietet. Sein wichtigster Tipp an die, die etwas Ähnliches versuchen würden? „Man muss bereit sein, auf wirklich engem Raum zu tanzen. Definitiv.“

www.theaterhaus.com

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