„The FireWorks Project“ am Stuttgarter Theaterhaus: „Bolero“ von Andonis Foniadakis

Ein Feuerwerk

Eric Gauthiers „The FireWorks Project“

Das Publikum hält es vor Begeisterung nicht auf den Sitzen bei dieser tänzerischen Gratulation zum Stuttgarter Theaterhaus-Jubiläum.

Stuttgart, 03/05/2025

Was für eine Company! Energie, Lebensfreude, Tanzlust! Und all dies mit einer profunden tanztechnischen Grundlage. In Zeiten von Krieg, Gewalt, Rechtspopulismus und allgemeiner Verunsicherung leben diese jungen Menschen ihren Traum, und der heißt: bei Gauthier Dance in Stuttgart zu tanzen. Dies zu beobachten, ist wirklich eine Wohltat und dieser Geist der Leidenschaft für das Leben, für den Tanz, dieser „Spirit“ geht zweifellos auf den Gründer dieser Company zurück. 

Der Kanadier Eric Gauthier – ehemaliger Tänzer im Stuttgarter Ballett und seit 17 Jahren künstlerischer Leiter von Gauthier Dance am Theaterhaus Stuttgart – hat einen Draht zu den Tänzer*innen, den Choreograf*innen und nicht zuletzt zum Publikum. Und er hat eine Spürnase für Talente! Das Programm von „The FireWorks Project“ liest sich wie ein Defilee der aktuell angesagtesten Choreograf*innen: Altmeister wie der Italiener Mauro Bigonzetti sind dabei, sowie arrivierte Künstler (Johan Inger, Marco Goecke) und Nachwuchs. Dabei bestechen vor allem Sofia Nappi mit ihrer emotionalen Tanzsprache, sowie Barak Marshall - z.Z. Artist in Residence bei Gauthier - mit seiner überbordenden Energie und seinem Temperament.

Die Idee zu dieser Produktion zum Jubiläum 40 Jahre Theaterhaus Stuttgart wurde von Eric Gauthier entwickelt: eine Liste von 40 internationalen Musiker*innen, die das Flair des Theaterhauses mit seiner illustren Jazz-Tradition widerspiegelt, war die Grundlage für eine internationale Choregrafenriege. Jede*r von ihnen suchte sich eine*n Musiker*in und ein Stück aus, für das eine Choreografie kreiert wurde. Mit diesen 10 Uraufführungen, einem tänzerischen Feuerwerk, gratuliert die Dance Company dem Theaterhaus und bedankt sich gleichzeitig bei ihrem Intendanten, Werner Schretzmeier, dessen Vertrauen und Wagemut die Company ihre Existenz zu verdanken hat. Eine große Theaterhaus-Gala mit Schwerpunkt Musik hatte schon am 29. März in Stuttgart stattgefunden.

Den Anfang des Programmes bestreitet Barak Marshall mit einem furiosen Opening und Mini-Duetten, in denen sich die 16 Tänzer*innen der Hauptcompany vorstellen. Gleich darauf gefolgt von einem feinen, kontemplativen Duett von Mauro Bigonzetti zu Chet Bakers „I´m oldfashioned“. Dann eine pulsierende Gruppe, in Szene gesetzt von Dominique Dumais zur Musik von Laurie Anderson. Und so geht es weiter mit einem überaus unterhaltsamen Reigen von Trios und Quartetten: Benjamin Millepied - der ehemalige Chef des Pariser Opernballetts - zu Oscar Petersons „Hymn to Freedom“, Sofia Nappi ganz emotional mit einer Clochard-Gruppe zu „La Bohème“ von Charles Aznavour, Stijn Celis easy, relaxed und groovy zu Bobby McFerrins „Thinkin‘about“. Nachdenklicher wird es bei Johan Ingers „A thousand thoughts“ zu Glockenklängen und Musik vom Kronos Quartett: da wirkt die große Halle T1 des Theaterhauses, in dessen Fenstern der steinernen Rückwand langsam die Sonne untergeht, fast wie ein sakraler Raum. 

Oder dann die scharfkantige Bewegungssprache von Marco Goecke, dessen Duett - nach einem rasanten, fast hektischen Solo - wie ein Kräftemessen mit ungewissem Ausgang wirkt. Der Tanz von Virginie Brunelle - einer kanadischen Kollegin von Gauthier - wirkt enigmatisch: eine Gruppe von Menschen, die Zugang zueinander suchen, mit wachsender Intensität umeinanderkreisen, das ist suggestiv, wirkt insgesamt aber noch nicht ausgereift. Zum Abschluss dann noch ein richtiger Rausschmeißer mit dem gesamten Ensemble von Barak Marshall: die Tänzer*innen rennen, springen, werfen sich auf den Boden und klopfen auf diesen, als wollten sie mit ihrem Tanz ausdrücken: „wacht auf, zum Leben!“ Wow! - Und da ist erst Pause.

Der zweite Teil des Abends erinnert an wichtige Stationen der Company. Zu Beginn die Junior Company mit der feinen Choreografie „Lickety Split“, in der sie in Leichtigkeit und verspielt ihr Können präsentieren. Dann das Solo „ABC“ von Eric Gauthier, getanzt von Shori Yamamoto. Da wird das Tanzalphabet von „arabesque“ bis „Tour en l´air“ und „to the front, to the back“ usw. auf das Unterhaltsamste und äußerst humorvoll kommentiert. Das Stück ist ein Dauerbrenner von Gauthier und wurde im März 2025 beim New York-Gastspiel der Company allabendlich mit einer Standing Ovation gefeiert. Bewundernswert, wie der zeitgenössische Tänzer Yamamoto auch alle Zitate der großen Ballett-Variationen mühelos durchtanzt. 

Einen ernsten und tiefgründigen Kontrapunkt bei so viel Tanzentertainment setzt dann das Frauen-Solo „Infant Spirit“ von Marco Goecke. Bei diesem Stück - in memoriam Pina Bausch - geht die Tänzerin Bruna Andrade darstellerisch an ihre Grenzen, um dem Abgrund nachzuspüren, den der Choreograf ausdrücken möchte. Ganz fabelhaft!

Den furiosen Abschluss dieses ungemein gelungenen Programmes bestreiten dann Gauthier Dance und Gauthier Juniors zusammen: in einer erweiterten Version tanzen sie den gesamten „Bolero“ von Ravel in einer Choreografie von Andonis Foniadakis auf Trampolinen! Vom anfänglichen Bouncen mit rhythmischem Hüftschwung bis hin zu großen Sprüngen - zu denen sie sich mit Schreien anfeuern - sprühen sie nur so vor Tanz- und Lebenslust, sodass dem Publikum der Atem stockt. Wie ist so etwas möglich, mag sich so mancher fragen. Und natürlich, nachdem am Schluss noch eine Luftschlangenkanone auf die Szene abgefeuert ist, hält es das Publikum vor Begeisterung nicht auf den Sitzen.
Was für eine Company! Was für ein Erfolg! Bitte weiter machen...

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern