„Bill“ von Sharon Eyal
„Bill“ von Sharon Eyal

Europapremiere von „Bill“, einer Choreografie von Sharon Eyal

Batsheva Dance Company aus Tel Aviv gastiert in der Jahrhunderthalle Höchst

Frankfurt, 07/11/2011

Am Anfang war der Tanz. Das könnte die Schlussfolgerung sein aus dem neuen Tanzstück „Bill“ von Sharon Eyal, das am Wochenende Europapremiere in der Jahrhunderthalle Höchst in Frankfurt hatte. Internationales Fachpublikum war gekommen, um der Batsheva Dance Company und ihrer viel gerühmten Hauschoreografin die Aufwartung zu machen. Die „tanzoffensive“, eine Fördermaßnahme des Kulturfonds Rhein-Main, hatte damit die vorerst letzte Veranstaltung wie Dieter Buroch, Leiter des veranstaltenden Künstlerhaus’ Mousonturm sagte. Bleibt die Hoffnung auf eine Fortsetzung, auf dass in Frankfurt nicht wieder Jahre der tänzerischen Brache folgen.

Die Israelin Shayon Eyal (Jg.1971) ist seit 10 Jahren Hauschoreografin der Batsheva Dance Company in Tel Aviv. Sie ist ebenso international unterwegs, um für große Tanzkompanien neue Stücke zu erarbeiten. Sie hebe sich ab von Mainstream und Mittelmaß in der Choreografie, sei konsequent und erbarmungslos in ihrer Sicht auf die Themen, ist ihrem Kurzporträt zu entnehmen. Ihr Tanzstil erscheint wie von leichter Hand gezeichnet und auch mal absichtslos chaotisch, doch sind Präzision und Perfektion ihre Markenzeichen.

Im Dezember 2009 war die Batsheva Dance Company bereits zu Gast in Frankfurt mit dem Stück „Max“, choreografiert von dem Company-Direktor Ohad Naharin. Seit 1990 prägt er den Tanzstil der Batsheva Dance Company, zitiert durchaus klassisches Ballett und Grahams Ausdruckstanz, nimmt aber auch viele andere Einflüsse auf wie ritualisierte Volkstänze und zeitgenössischen Street-Dance. Den Batsheva-Einfluss kann auch Sharon Eyals Stück nicht leugnen. Und genauso wie bei Naharin zeigt sie keine Erzählungen, sondern Stimmungen und Gefühle, die von den Grundbedingungen menschlichen Seins handeln.

Der Fokus ist ganz auf die Körper der 20 Tänzer und Tänzerinnen gerichtet. Die Bewegungsmöglichkeiten einzelner Muskelpartien werden geradezu zelebriert oder gleichförmige Minimalbewegungen der Gruppe zu homogen wirkenden Gesamteindrücken komponiert. Die Kostüme bestehen aus hautfarbenen Ganzkörperanzügen mit eng anliegenden und farblich angepassten Haaren. Eine scheinbare Nacktheit, die Geschlechtsmerkmale nivelliert, doch in den Gruppenformationen erschreckende Assoziationen an Klone weckt.

Nebel wabert durch den kargen schwarzen Bühnenraum, in dem das Licht das einzige Gestaltungselement ist. Es erzeugt Stimmungen und lässt konkrete Bilder wie Höhlen oder Berge zu. Die Musik ist über weite Strecken von hart wummernden Bässen und nur leicht variierten Computerrhythmen geprägt, zusammen mit der Lautstärke erzeugen sie zeitweiliges Unwohlsein. Harmonischer Gesang ist immer gebrochen und nur von kurzer Dauer, etwa das Liebeslied „Wicked Games“ in der verzweifelt komischen Interpretation von Pipilotti Rist. Dazu liefert die Tanzgruppe einen romantisch schwingenden Hintergrund und zwei Tänzerinnen markieren Herzformen bis an die Schmerzgrenze zwischen Kitsch und Groteske. Es ist ein immer wieder kehrendes Prinzip der Choreografin: die Gruppe(n) bewegt sich mit relativ gleichförmigen Bewegungen und dient als Hintergrundfolie für Einzelne oder Kleingruppen, die sich tänzerisch davon abheben. Dies geschieht parallel zur Musik, zu Basisrhythmen und Melodieführung bzw. rhythmischen Akzenten, was eine faszinierende Sogwirkung hat und zeitweilig die bewusste Aufmerksamkeit abschaltet. Wie in den Ritualtänzen alter Völker.

„Bill“ zeigt den Menschen als gleichförmiges Gruppenwesen, aus dem Einzelne immer wieder versuchen auszubrechen. Es beginnt mit Individuen, die den Kontrast zu mystischen Ritualen und dem Zusammenfinden von Gruppen deutlich machen. Zivilisation bringt militärischem Touch oder Maschinenwelten, die Schickimicki-Disco-Szene (mit Sonnenbrillen) zeigt die Rivalität zweier Frauen im Schleudern ihrer offenen Haare. Doch alle Mühe scheint vergeblich, die Gruppenzwänge holen sie wieder ein. Zum Ende laufen (fast) alle mit einem hautfarbenen Rucksäckchen über die Bühne. Symbol für das Päckchen, das wir alle zu tragen haben? Oder für eine globalisierte Welt, in der alle auf Wanderschaft sind; nicht mehr nur das Volk Israel. „Bill“ bedeutet vieles: Rechnung, Gesetzesvorlage und Programmheft. Dieses Tanzstück hebt sich tatsächlich ab, es wird im Gedächtnis bleiben.

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