Ein römischer „Schwanensee“ im Karneval

Alessandra Amato und Igor Yebra in Galina Samsovas „Schwanensee“

Rom, 22/02/2011

Es ist gewiss einer der originellsten Züge des Balletts der römischen Oper, dass in einer Serie von sechs „Schwanensee“-Vorstellungen kein einziger Halbsolist/Solist/Erster Solist zu sehen ist, weder in den Hauptrollen noch in den zahlreichen Soli. Anstatt der oft dem Alter der Entrechats und Fouettés bereits entwachsenen, bis auf wenige legendäre Stützen der Kompanie (wie Laura Comi und Mario Marozzi) tänzerisch kaum mehr aktiven Solisten tanzen neben internationalen Gaststars die Solorollen Tänzer, die in der Kompanieliste als „Corps de Ballet“ aufgeführt werden, obwohl viele von ihnen schon langjährige Bühnenerfahrung haben. So erscheint beispielsweise rätselhaft, warum Odette-Odile Alessandra Amato, schon längst keine Debütantin mehr, trotz einiger technisch wie darstellerisch beeindruckender Rollendebüts in den letzten Jahren (beispielsweise als Sylvia in Ashtons gleichnamigem Ballett oder als Myrtha in „Giselle“) in der Hierarchie ganz unten angesiedelt bleibt.

Das kann sie jedoch nicht davon abhalten, sich mit Hingabe in Galina Samsovas prachtvollen (Bühnenbild und Kostüme: Aldo Buti), aber dramaturgisch nicht immer schlüssigen „Schwanensee“ zu werfen. Nach dem Prolog, in dem Odette von Zauberer Rothbart (Manuel Paruccini im schwarzen Flittermantel) in einen Schwan verwandelt wird, öffnet sich der Vorhang auf einen Palast im französisch anmutenden, ganz türkisblau gehaltenen Phantasiestil, in dem in karnevalsglitzernden Kostümen ein paar Höflinge, zwei Freundinnen, Siegfried und der westlich von Russland selten gesehene Freund Benno auftreten (dafür aber weder ein Tutor noch der in den russischen Produktionen so beliebte Narr). Prinz, Freund und Freundinnen finden schließlich im zum Pas de Quatre umfunktionierten Pas de Trois zusammen, mit zusätzlicher Musik, die oft für Siegfrieds erste „Variation lente“ verwendet wird. Igor Yebra, Gast-Siegfried aus Bordeaux, präsentiert sich hier als technisch sicherer, freundlicher und träumerischer Prinz ohne eine Spur von Rebellion gegenüber der ebenso gütig wirkenden Königin (Anna Terziani). Mit kindlicher Freude macht er sich – nach einem eher ungeschickten Szenenwechsel – auf die Jagd, bis er am See der Schwanenkönigin und ihrem Gefolge begegnet.

Leider wollten dem aus insgesamt 18 Schwänen (inklusive große und kleine Schwäne) bestehenden Corps die Symmetrieeffekte des 2. Aktes nicht immer gelingen, nicht zuletzt wegen einiger irritierender Misstöne im Orchester. Doch wurde der Zuschauer optisch durch die wahrlich zauberhafte Darstellung eines mondbeglänzten Sees im Hintergrund getröstet. Hinzu kamen gelungene, poetische Lichteffekte (Mario De Amicis), die Mondlicht und Sonnenaufgang darstellten und nur ab und zu ins allzu Rosafarbene abzugleiten wagten. Der dritte Akt, erstaunlicherweise in einer arabisierenden Palastkonstruktion angesetzt, wurde um einige Nationaltänze erleichtert, dafür aber um zwei Variationen bereichert, zu Musik, die heute vor allem aus Balanchines „Tschaikowsky Pas de Deux“ bekannt ist. Hier ist der dramaturgische Zusammenhang zwischen Verlobten und Nationaltänzen – zwei finden vor, einer nach dem Erscheinen Rothbarts und Odiles statt, die damit den spanischen Tänzern zugeordnet wird – nicht völlig nachvollziehbar. Ähnlich verwirrend ist das Ende des vierten Aktes, in dem nach Odettes und Siegfrieds Tod im schwarz glitzernden See Rothbart zwar stirbt, die Befreiung der anderen Schwäne und die im Programm angekündigte Vereinigung der Protagonisten im Jenseits jedoch nicht sichtbar wird.

Und trotzdem: die gemeinsame Apotheose der beiden Liebenden konnte bei allem Mangel an optischen Beweisen kaum angezweifelt werden, zumal sie beide in ihrer lyrischen Innerlichkeit eine Harmonie ausstrahlten, der kein noch so wütend tobender Rothbart etwas entgegenzusetzen hatte. Amato überzeugte bis zum Schluss als zerbrechlicher weißer Schwan durch fließende Arme und weiche Handgelenke, während Yebra ihr als verlässlicher Partner und sensibler, von echter Reue getriebener Geliebter zur Seite stand. Beide rührten durch ihre authentische Darbietung – ganz fern von aller überreizten „Black Swan“-Dramatik. Und vielleicht wird Schwanenkönigin Amato ja nach diesem Erfolg mit einem Solistentitel gekrönt?

Besuchte Vorstellung: 19.02.2011

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