Menschenrechte und Werkgeschichte

Das 22. Festival „Tanz im August“ hat drei Themenschwerpunkte

Berlin, 14/08/2010

Er könnte endlich wieder ein anregendes, spannendes Festival bieten, der 22. Jahrgang von „Tanz im August“. In 16 Tagen lädt er 38 Produktionen zeitgenössischen Tanzes aus 19 Ländern auf acht Berliner Bühnen, von den drei Häusern des Hebbel am Ufer über Podewil und HALLE bis zu Radialsystem, Akademie der Künste und Volksbühne. Aus den gesichteten Angeboten ergaben sich, so das Kuratorenteam, drei Themenschwerpunkte. Wenn die Ethik des Zusammenlebens zuvorderst genannt wird, ist der zeitgenössische Tanz angekommen, wo die zeitgenössische Kunst in Theater und Galerie längst ihre Kämpfe ausficht. Gleich das Eröffnungsstück des Festivals packt ein nach wie vor heißes Eisen an. Alain Platel, Frank Van Laecke und ihre Ballets C de la B erzählen in „Gardenia“ vom grauzonigen Dasein zwischen den Geschlechtern. Protagonisten sind die als Mann geborene Schauspielerin Vanessa Van Damme und sechs Männer, die einen Teil ihres Lebens als Frauen verbringen. Wie bereits seit 1995 arbeitet das Berliner Duo Rubato mit Tänzern aus China, in „Look at me, I’m Chinese“ um Begriffe wie Konsum, Begehren, Gewalt in der explodierenden sozialistisch-kapitalistischen Wirtschaft des Riesenreichs. Dass Rubato gleichsam ein Podium für Chinas zeitgenössischen Tanz geschaffen hat, ist positiver Nebeneffekt.

Um den Zustand der UNO-seitig 1948 proklamierten Menschenrechte geht es in William Forsythes Installation „Human Writes“, die bereits in Hellerau Furore gemacht hat. Diesmal verbünden sich seine Tänzer mit denen von Sasha Waltz im Bemühen, körperlich behindert Textteile jener Erklärung zu notieren. Als deutsche Erstaufführung zeigt Lemi Ponifasio, Häuptling aus Samoa und Regisseur in Neuseeland, mit „Tempest: Without a Body“ eine Vision von Freiheit und Bewusstheit, die sich aus der Kultur seiner Wurzeln speist und Unterdückung anklagt. In „To Serve“ beschäftigen sich Simone Aughterlony und Jorge León via Film, Bühnenstück und Installation mit dem Schicksal junger Frauen aus Indonesien, die sich in Asien und im Mittleren Osten als Hausangestellte verdingen: unter oft entwürdigenden Zuständen. Deutsche Erstaufführungen sind ebenso Héla Fattoumis und Eric Lamoureuxs „Manta“ um die Burka als Eingrenzung der Freiheit sowie „Big Mouth“ von Niv Sheinfeld, Oren Laor, Keren Levi zum Konflikt zwischen Individuum und Kollektiv in Israel.

Was der klassische Tanz seit zwei Jahrhunderten praktiziert, die Auseinandersetzung mit seiner Geschichte, ist durch den Tod von Pionieren, Cunningham, Bausch, Bohner, im Zeitgenössischen angekommen. Wie man Wichtiges bewahrt, tradiert, archiviert, steht nun als Frage, will man nicht die eigenen Wurzeln kappen. Mit Cunninghams Erbe befassen sich gleich mehrere Produktionen. Einem Fotoband, der dessen Wirken über 50 Jahre dokumentiert, macht Boris Charmatz in „50 Years of Dance“ Beine: mit früheren Tänzern jener Truppe. Jérôme Bel begnügt sich mit einem von ihnen: „Cédric Andrieux“, jetzt in Lyon engagiert, lässt seine Karriere Revue passieren. Eszter Salamon verarbeitet in „Dance for Nothing“ eine Lecture von Cunninghams musikalischem und persönlichem Wegbegleiter John Cage; Tacita Deans Filmporträt einer Probe mit Cunningham ist jetzt Memorial.

Nach soviel Historie will der dritte Schwerpunkt in die Zukunft weisen. Zwei Blöcke sind jungen Choreografen gewidmet, endlich als ausgewiesen separater Festivalteil. Das europäische Projekt Looping, getragen von sechs Fördereinrichtungen und über zwei Jahre aufgelegt, präsentiert in drei Programmen sieben Talente; das europäische Netzwerk Départs um P.A.R.T.S., Brüssels Schule für zeitgenössischen Tanz, gibt an drei Abenden neun „Neuen“ ihre Chance. Außerthematisch laufen weitere Gastspiele sowie Workshops, Lectures, Diskussionen.

19.8.-3.9., Tanz im August
Infos unter www.tanzimaugust.de

 

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