Wenn der Körper spricht

Sidi Larbi Cherkaoui im Gespräch über sein Werk „Babel (words)”

Berlin, 08/12/2010

Sakrale Musik und comicartiger Slapstick, Kung-Fu-Bewegungen und Breakdance, menschliche Tragik und befreiender Humor – für Sidi Larbi Cherkaoui gibt es keine kulturellen oder Genre-Grenzen. Auch in seinem neuesten Stück „Babel (words)” kocht das marokkanisch-flämische Wunderkind aus Antwerpen wieder ein vielschichtiges Süppchen aus Musikspektakel, Multikulti-Tanztheater und sozial-philosophischer Reflexion. Bevor das Werk am Donnerstag beim Festival spielzeit'europa zu sehen sein wird, sprach Frank Weigand mit dem Choreografen und Menschenfreund über seine Arbeit.

Redaktion: Ihr neues Stück geht vom biblischen Mythos des Turmbau zu Babel aus. Sie beschreiben darin eine Welt, in der alle Kulturen noch eine gemeinsame Sprache sprechen, als sei der Turm zu Babel nie zerstört worden. Ist das das idealistische Bild eines verlorenen Paradieses?

Sidi Larbi Cherkaoui: Ausgangspunkt war die Idee einer gestischen Sprache. Mein Partner Damien Jalet und ich dachten, wenn Menschen keine Sprache hätten, sondern nur Gesten, würden sie früher oder später einen Weg finden, sich untereinander zu verständigen. Und das wäre in gewisser Weise Tanz. Unsere These ist also, dass es eine universelle Körpersprache gibt, die überall auf der Welt ähnlich ist. „Babel“ ist also eher mathematisch als utopisch. Wir arbeiten mit Zahlen, Rhythmen und Mustern im Raum – und damit, wie Menschen diese Muster benutzen, um miteinander zu kommunizieren oder Wege der Koexistenz zu entwickeln.

Gleichzeitig wollten wir den Begriff des „Territoriums” behandeln. In dem Stück kämpfen ständig Individuen um Raum. Wir wollten zeigen, dass die Idee von Territorien oder Räumen im Grunde etwas völlig Abstraktes ist. Die Grenzen zwischen zwei Ländern sind rein subjektive Festlegungen. Wir behandeln sie wie etwas Wirkliches, doch eigentlich existieren sie nur in unseren Gedanken.

Redaktion: In einer Zeit, wo überall Rassismus und Fremdenhass neu aufbrechen, machen Sie ein Stück über Verständnis zwischen unterschiedlichen Kulturen. Meinen Sie das auch als politisches Statement?

Sidi Larbi Cherkaoui:​​​​​​​ Ich bin halb Marokkaner, halb Belgier. Deshalb war ich schon immer mit unterschiedlichen Perspektiven konfrontiert. Alle anderen hatten immer ein Feindbild – nur ich nicht, denn ich saß immer zwischen allen Stühlen. Deshalb verstand ich früh, dass alles immer vom Standpunkt abhängt. Man muss begreifen, wo man steht, bevor man sich eine Meinung bildet. Es ist mir wichtig, zu vermitteln, dass es zu jedem Thema eine Vielzahl von Perspektiven gibt. Auch Humanismus ist ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit, denn in unserer Gesellschaft geht es so sehr um Fortschritt, dass man fast vergisst, dass er einmal dazu dienen sollte, das Leben der Menschen besser zu machen. Doch inzwischen ist er zum Selbstzweck geworden. Das sind Dinge, die ich als kleines Individuum in meiner Arbeit ansprechen will.

Redaktion: Sie sind nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil Sie Ihre ernsten Themen mit sehr viel Humor und großem Gespür für Entertainment aufbereiten. Geschieht das ganz bewusst?

Sidi Larbi Cherkaoui:​​​​​​​ Für mich ist Humor die Essenz der menschlichen Natur. Jedes Mal wenn ich Leuten näherkam, die aus ganz entfernten Kulturkreisen stammten, geschah das durch Lachen. Auch wenn manche meiner Arbeiten weniger lustig sind, steckt doch immer ein bisschen Humor drin. Ich finde, im gemeinsamen Lachen liegt eine große Weisheit – und deshalb versuche ich, etwas davon auf die Bühne zu bringen.

Redaktion: Sie sind weltweit einer der erfolgreichsten Choreografen Ihrer Generation. Erfolg bedeutet auch Druck. Spüren Sie den?

Sidi Larbi Cherkaoui:​​​​​​​ Natürlich. Aber im Endeffekt kommt es ja immer nur auf einen selbst an und darum, wie man mit den Dingen umgeht. Man muss sehr kreativ sein. Nicht im künstlerischen Sinne, sondern als Mensch, um sich nicht von Erwartungen mitreißen zu lassen. Auch wenn sich zum Glück viele Leute für meine Arbeit interessieren, habe ich schon genug an den Erwartungen zu tragen, die ich an mich selber habe. Doch ich weiß, dass ich einen persönlichen Instinkt habe, der mich zu meiner Form von Glück bringen wird, die ich dann hoffentlich mit anderen Menschen teilen kann. Dieser Text erschien ursprünglich in der Ausgabe 08/09/10 des Magazins TanzRaumBerlin. www.berlinerfestspiele.de

Kommentare

Noch keine Beiträge