Mozarts gewichtigste Ballettmusik

Der steyrische Mozart-„Idomeneo“ von Harnoncourt und Spoerli jetzt auch in Zürich

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Stuttgart, 15/02/2010

Im Bonustrack „Making of Idomeneo –  Sein erstes Mal“ plädiert Nikolaus Harnoncourt leidenschaftlich für Mozarts „Idomeneo“, Dramma per musica in tre atti, komponiert im Münchner Auftrag und uraufgeführt daselbst 1781, als eine Art Urgestein des mozartschen Bühnenoeuvres, aus dem sich alle seine späteren Opern bis hin zur „Zauberflöte“ und zum „Titus“ ableiten lassen. In unserem Zeitalter der umstrittenen „Boni“ ein hoch willkommener „Bonus“ für alle am Musiktheater Interessierten, veröffentlicht als Zugabe zur 2 DVD-Aufnahme der Produktion des steirischen Herbsts vom Juli 2008, die jetzt in ihrer Originalbesetzung vom Opernhaus Zürich übernommen wird und dort am Samstag, dem 20. Februar, Premiere hat.

Herausgegeben ist sie als styriarte Festival Edition 001.2009, mit einem glänzend aufgemachten, informationsreichen Buch, inklusive einer opulenten „Idomeneo“-Bildgeschichte. Wobei ich lediglich bedauere, dass in der Auflistung der Tracks auf beiden Discs mehrere Szenen jeweils zusammengefasst sind, was das Auffinden der einzelnen Musiknummern erheblich kompliziert (jedenfalls für Nicht-Technik-Freaks, zu denen ich gehöre) – und zum zweiten die ständig falsche Schreibweise der beteiligten Ballettkompanie, die eben nicht als Züricher Ballett (mit i) firmiert, sondern als Zürcher Ballett.

Das Werk steht ja tatsächlich im Schnittpunkt mehrerer sich überkreuzender Traditionen: als „eine französische Oper im italienischen Gewand und eine Mannheimer Oper auf Münchner Boden“. Das fasst zusammen: die spezifisch französische Genealogie der Tragédie lyrique mit ihren stark ausgeprägten Chören und Balletten und der Opera seria mit ihrer strikten Trennung in Rezitative, Arien und Ensembles sowie die reiche Ausgestaltung des Orchesterparts und zudem die Überlappung von Barock, Aufklärung und Sturm und Drang. Harnoncourt, der hier zusammen mit seinem Sohn Philippe auch als Regisseur teilverantwortlich zeichnet (Bühnenbildner ist Rolf Glittenberg, die Kostüme stammen von Renate Martin und Andreas Donhauser und die Lichtgestaltung von Friedrich Rom – beteiligt sind weiterhin der Arnold Schoenberg Chor, der Concentus Musicus Wien und ein handverlesenes Solistenensemble sowie – wie es auf der Besetzungsliste heißt: „Solisten des Züricher Balletts“) – Harnoncourt also befleißigt sich hier eines überaus dramatischen, ja hochexpressiven Stils, voller Ecken und Kanten, ungewohnter Zäsuren, einer rhetorischen Textdeklamation hart an der Grenze zum Sprechgesang und einer geradezu luxuriösen klangfarblichen Ausgestaltung des Orchesterparts.

Darüber wäre viel zu sagen (manches kommt in den Begleittexten des Buches zur Sprache) – auch über gewisse Kürzungen (die schmerzlichste ist der Verzicht auf Elettras große Schlussarie „D‘Oreste, d‘Aiace“). Doch ist hier nicht der Raum dafür (ebenso wenig wie für die individuellen Rollengestaltungen der einzelnen Sänger). Der Anlass, hier im tanznetz auf diese Produktion hinzuweisen, ist die Beteiligung des Zürcher Balletts und seines Leiters, Heinz Spoerli. Die Ballettnummern werden ja sonst meist weggelassen – hier erscheinen sie sogar noch erweitert durch die tänzerische Anreicherung der Chöre, die jeweils die einzelnen drei Akte beschließen. Sogar die Ouvertüre ist hier zum Teil choreografiert, und zwar als kämpferische Auseinandersetzungen zwischen Griechen (Trojaner) und Kretern, und auch die finale Ballettmusik (KV 367) ist mit allen ihren vier Sätzen (Chaconne, Larghetto, La Chaconne qui reprend und Largo. Allegro. Largo) komplett berücksichtigt. Es handelt sich ja immerhin um Mozarts gewichtigste Ballettmusik – die ich, wenn ich mich recht erinnere, überhaupt erst einmal choreografiert erlebt habe: von Renato Zanella im Rahmen eines Mozart-Ballettabends der Ludwigsburger Festspiele im Mozart-Jahr 1991 – also vor achtzehn Jahren (mit Mitgliedern des Stuttgarter Balletts – so ehrgeizig ging‘s damals noch in Ludwigsburg zu!).

Schon die Eingangsszene gibt Spoerli die Gelegenheit, den Gott Neptun – Verursacher des ganzen „Idomeneo“-Unheils – auftreten zu lassen, Arman Grigoryan, einen der armenischen Wunderboys, in einem wirbelnden Solo, zusammen mit vier Begleitern. Also gewissermaßen zur Illustration des Meeressturms, der Idomeneo und die Griechen als Schiffsbrüchige ans Land spült. Choreografiert ist das in jenem sportiven Klassizismus, wie ihn Spoerli besonders in seinen Cello-Suiten (zu Bach-Musik) kultiviert hat. Es ist ein um zahlreiche moderne Elemente bereicherter Klassizismus, später, wenn die Damen dazu kommen, nicht auf Spitze, aufgeladen mit einer stürmischen Energetik, immer im engen Einklang mit der Musik, und wie sie strukturiert nach ihren bald mehr männlichen, dann wieder weiblichen Vorgaben. Er erscheint am dichtesten komprimiert in den verschiedenen Tableaux zu den von Neptun heraufbeschworenen chaotischen Stürmen und dem Leid, in das sie die Bevölkerung stürzen. Eignet ihnen eine rastlose, vorwärtspeitschende Dynamik, so erscheint die in den Sätzen des finalen Divertissements gesoftet zu reiner klassischer Schönheit und Harmonie und in größeren Ensembleformationen, die durch kurze Pas de deux aufgelockert werden – wobei sich zwei Paare herauskristallisieren, getanzt von Galina Mihaylova und Vahe Martirosyan und von Pilar Nevado Pascual und Stanislav Jermakov. Unübersehbar sind die Kirichenko-Zwillinge, Oleksandr und Sergiy. Es ist ein strahlendes Happy-End, ganz im Sinne des josephinischen Humanismus, wie ihn auch die Musik Mozarts suggeriert. Die Zürcher (nicht die Züricher) Tänzer demonstrieren ihn in strahlender Reinheit und Leuchtkraft, wie sie sie in all den Zürcher Spoerli-Jahren zu Musiken von Bach und Mozart erarbeitet haben.

 

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