Wiedersehen mit den Armeniern

Dreizehn attraktive Auftritte von „Forceful Feelings“ in Zürich

Wer aus Armenien stammt, trägt in der Regel einen Nachnamen mit Endung –yan. In Heinz Spoerlis Zürcher Ballett gab es eine ganze Reihe von Tänzern, die so hießen. Sie machten später Karriere in Stockholm, München oder Berlin, blieben aber bis heute mit Zürich verbunden.

Zürich, 15/06/2019

Als Heinz Spoerli Ballettdirektor des Zürcher Balletts war (1996 bis 2012), fielen hier die zahlreichen Tänzer aus Armenien auf. Tänzer, keine Tänzerinnen! Sie waren hoch begabt, dunkelhaarig, und ihre Namen endeten alle auf –yan. Ihre Grundausbildung hatten sie an der Armenischen Ballettschule in Jerewan erhalten, mit der Spoerli zusammenarbeitete. Bevor die jungen Männer ins Zürcher Ballett aufgenommen wurden, ergänzten einige ihre Tanzausbildung in der Schweiz. Einer der ersten, Tigran Mikayelyan, errang beim Prix de Lausanne 1998, dem wichtigen Internationalen Ballettwettbewerb für 15 bis 18-Jährige, den Hauptpreis.

Später wechselte Tigran von Zürich nach München. Beim Bayerischen Staatsballett endete seine Karriere als Erster Solist letztes Jahr, unter anderem wegen einer Verletzungsserie. Jetzt arbeitet er als Therapeut und Trainer. Arsen Mehrabyan ist heute Principal Dancer am Königlich Schwedischen Ballett in Stockholm, Vahe Martirosyan hat kürzlich als Solist von Stockholm zum Berliner Staatsballett gewechselt.

Arman Grigoryan, Goldmedaillen-Gewinner beim Ballettwettbewerb in Varna 2004, gehörte lange zu den herausragenden Solisten des Zürcher Balletts. Nach einem Berlin-Abstecher kehrte er nach Zürich zurück, wo er als freischaffender Tänzer und Lehrer wirkt.

Und nun also die Auftritte von „Forceful Feelings“ in Zürich in der großen Maag-Halle. Sehr viele Leute sind zur Premiere am 13. Juni 2019 gekommen. Sie applaudieren freudig nach jedem der 13 kurzen Tanzwerke. Zeitgenössischer, kraftvoll-expressiver Stil überwiegt, zuweilen erkennt man orientalische Einschläge. Die Männer tanzen mit Totaleinsatz, oft in langen Hosen mit nacktem Oberkörper. Die vier mitwirkenden Frauen – keine Armenierinnen – verkörpern verschiedene Typen, zwischen robust bis filigran: Casia Vengoechea, Krasina Pavlova, Iana Balova und Zürichs unvergleichliche Primaballerina Yen Han als Gast - sie schenken den Auftritten zusätzlichen Reiz.

In vielen Stücken geht es um Zweierbeziehungen, oft problematischer und selten der glücklichen Art. In „Static Time“ von Nacho Duato zelebrieren zwei Tänzer eine brutale Sado-Maso-Liebe, nicht ohne Peinlichkeit. Neben Grigoryan tritt hier Arshak Ghalumyan in der Macho-Rolle auf, der fünfte Tänzer im Bunde. Ghalumyan ist aber auch Choreograf, zuständig für nicht weniger als fünf Stücke des Abends.

Die verwendete Musik stammt von J.S.Bach über Sting bis zum Armenier Tigran Harnasyan. Sie erklingt vom Tonträger. Nur in Chopins „Nocturnes“ sitzt der glänzende Alexey Botvinov live am Flügel. Die Choreografie von Heinz Spoerli aus dem Jahr 1997 bildet für das Zürcher Publikum einen emotionalen Höhepunkt angesichts der Besetzung mit Yen Han, Arman Grigoryan und Vahe Martirosyan. Letzterer ist nicht nur ein hinreißender Tänzer geblieben, sondern hat inzwischen auch gelernt, hie und da zu lächeln.

Gastspiele von „Forceful Feelings“ in Deutschland? Fehlanzeige. Nach den drei Vorstellungen in Zürich tritt die Gruppe nur noch in La Valetta (Malta) auf. Mögliche Gründe für diese Absenz? Die armenischen Tänzer sind eben nirgends so stark verwurzelt wie in Zürich, wo sie auch von vielen Jugendlichen bewundert werden. Und sie stehen im Schatten von Power-Produktionen wie dem kubanischen Ballet Revolutión, die mit viel üppigeren Mitteln auftrumpfen können. Schade für die Armenier, sie hätten mehr verdient.

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