Mozart auf der Reise nach Zürich

Heinz Spoerli eröffnet die neue Saison wieder mit einem Ballettabend zu Kammermusik

oe
Zürich, 10/09/2006

Wie bereits zur Tradition geworden, beginnt Zürich die neue Spielzeit mit einem Ballettabend zu Kammermusik, diesmal also von Mozart – lauter späte Stücke, fast ausschließlich aus dem Köchelverzeichnis der 400er- und 500er-Nummern – dazu zwei Stücke für Violoncello solo von Karija Saariaho, die durch ihre Oper „L'Amour de loin“ internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Wie stets in Zürich wird alles live musiziert, vom Amati Quartett, dem Zürcher Hauspianisten Alexey Botvinov und dem Zürcher Solocellisten Claudius Herrmann. Entsprechend exquisit ist der musikalische Standard.

Mozart also auf der Reise nach Zürich – denn es wird viel gereist in diesem Ballett (wie gut, dass es damals noch keine Gepäckkontrollen gab). Spoerli auf den Spuren Mörikes? Das denn doch nicht – denn es gibt keine Ankunft. Am Schluss steht Mozart allein auf der Bühne (Arman Grigoryan), während sich ein Wasserschwall über ihn ergießt. Mozart – aber ist es Mozart? – ein Loner, denn auch schon vorher bleibt er weitgehend ausgeschlossen von den Tänzen der anderen: viele Pas de deux, Pas de trois, kleine und größere Ensembles von hoher musikalisch-choreografischer Qualität.

Es gibt nur einen direkten Verweis auf Spoerlis Zürcher Mozart von 1999: „...eine lichte, helle, schöne Ferne“, den „Musikalischen Spaß“, KV 522, einen dieser putzigen, verzappelten Pas de trois für die drei Zürcher Tanzkobolde Arman Grigoryan, Vitali Safronkine und Iker Murillo, die sich den Staub aus ihren Perücken schütteln. Denn diesmal sind es vornehmlich die nächtlichen, dunklen, melancholischen Stimmungen, die die Tintura des Balletts prägen: „Notte e giorno faticar“. Und die wollen nicht recht mit der Titelverheißung dieses Balletts als „moZART“ harmonieren. Denn sonderlich zart geht es in diesem Ballett nicht zu – eher handgreiflich, mit zahlreichen komplizierten Hebefiguren und Körperverknotungen. Da hätte ich mir lieber „Mozart“ gewünscht, wegen der motorischen Rastlosigkeit, der Unbehaustheit, die Mozarts Leben charakterisierte. So kommt mir der Titel nicht weniger firlefanzig vor als weiland Bernd Bienert Zürcher „trazom“ (Mozart quasi im Krebsgang).

Direkte Verweise auf Mozarts Leben gibt es indessen nicht, oder doch kaum. Leute, die sich in der Mozart-Biografie auskennen, sind eingeladen, ihre Fantasie spielen zu lassen – etwa zu Aloysia Weber, zum strengen kontrapunktischen Vater, zu Nancy Storace, zur Freimaurer-Bruderschaft ... Aber es überwiegen bei weitem die nicht-narrativen Arrangements, die aus dem Fluss der Musik hervorgehen, und die sind durchweg superb (und hängen nur gelegentlich durch, wenn die musikalischen Vorlagen zu lang sind, wie im zweiten der Stücke von Karija Saariaho). Es ist eine durchgehend sehr ernste Choreografie – ganz ohne sentimentale Drücker, aber auch ohne Schwere, eher eine Tristezza – nicht dolorosa, sondern voller Dolcezza (und insofern stimmt der Titel dann doch wieder).

Sie ist ein einziger Qualitätsbeweis für das hohe technische Finish der großen Kompanie. Denn wenn es auch meist kleinere Formen sind (eben kammertänzerische Nummern), so ist man dann doch erstaunt, wie viele solistische Gelegenheiten die Tänzer erhalten, die sie durchweg mit Bravour meistern – gleich am Anfang Grigoryan und Safronkine – dann im Menuett-Quartett des Quintetts in g-moll, KV 516 (sehr gewagt von Spoerli, dieses Gipfelwerk der musikalischen Klassik zu choreografieren (und es dominiert den ganzen ersten Teil) für Evelyne Spagnol und Filipe Portugal, Seh Yun Kim und Vahe Martirosyan – aber er kriegt es hin –, auch das ganz entmaterialisierte Adagio ma non troppo, in dem sich zu den vier Protagonisten des Menuetts noch Ana Carolina Quaresma und Stanislav Jermakov gesellen, dann die ungeheuer expressiv aufgeladenen Stücke von Saariaho, durch die sich Yen Han und Dirk Segers wie Tamino und Pamina durch ihre Feuer- und Wasserprobe kämpfen.

Jedenfalls eine hochinteressante Bereicherung des eher schmalen wertbeständigen Mozart-Repertoires unserer Kompanien – auch wenn manches etwas dramaturgisch fahrlässig konzipiert scheint. Wonach wir doppelt gespannt sind auf das als genialisch avisierte amerikanische Mozart-Programm von Mark Morris, das als Gastspiel im Dezember für Wien angekündigt ist.

Kommentare

Noch keine Beiträge