Eine Tanzbrücke nach Armenien

Die Kompanie Forceful Feelings tanzt auf höchstem klassischen Niveau für die Heimat

München, 21/06/2010

Für Tigran Mikayelyan bedeutet Kerzenlicht nicht unbedingt Romantik. Als der Erste Solist des Bayerischen Staatsballetts um 1991 die Staatliche Ballettakademie in Eriwan besuchte, zerfiel die Sowjetunion und es gab plötzlich keinen Strom mehr für Armenien. Das Land übte die Selbstversorgung, „daher tanzten wir oft genug im Schummerlicht, vor angelaufenen, zerbrochenen und wieder geklebten Spiegeln“, erzählt Mikayelyan. „Kam dann doch mal eine Stunde Strom, versammelten wir uns vor einem Videorekorder und sahen uns Baryschnikows ‚Don Quichote’ an. Wir waren, trotz aller Improvisation, ganz schön tanzverrückt.“

Wir – das ist Forceful Feelings, ein Freundeskreis von armenischen Tänzern, die sich in den 90er Jahren um Mikayelyan kennenlernten, und die seither ihren Weg in verschiedene Kompanien Europas gefunden haben. Zu der Truppe, die bisher erfolgreiche Galas in Eriwan gegeben hat, und die im Juli erstmals auch in Deutschland auftritt, zählen derzeit fünf Mitglieder: Mikayelyan, dazu die Züricher Solisten Arman Grigoryan, Vahe Martirosyan, Arsen Mehrabyan und Artur Babajanyan. Auch Arman Zazyan aus Stuttgart soll bald Mitglied werden, Davit Vardanyan aus Dresden hingegen gab die Mitgliedschaft gerade auf. Doch wie die Zusammensetzung auch gerade ist, „wir sind immer durch unsere gemeinsamen Wurzeln an der Ballettschule, unser gemeinsames Feuer, unser gemeinsames Training für die entscheidenden Wettbewerbe in Lausanne und Varna verbunden“, sagt Mikayelyan. „Und selbstverständlich auch durch unsere Liebe zu unseren Familien in Armenien. Das alles ergibt ein besonderes Gefühl des Zusammenhalts. Unser Name rührt daher.“

Heute ist Mikayelyan 30 und ein in München, sowie darüber hinaus, unglaublich beliebter Tänzer geworden. Mit Forceful Feelings dankt er seiner Heimat – darum war es selbstverständlich, dass die Kompanie nach ihrer Gründung 2006 als erstes in Armenien auftrat. Mikayleyan und seine Freunde brachten damals erstmals moderne Choreografien auf Spitzenniveau in ihren kriegsgebeutelten Heimatstaat zwischen Türkei und Aserbaidschan, der andererseits die Heimat des „Säbeltanz“- und „Gayaneh“-Komponisten Aram Khatchaturian ist. Auszüge aus Forsythes „Limbs Theorem“ zeigte Mikayelyan damals, „und es war ein riesiger Erfolg. Das Publikum vertraute uns, weil es um unsere exzellente klassische Technik wusste. Darum konnten wir schon ein Jahr später, einen komplett modernen Abend mit Juri Bubeniceks ‚Unreachable Places’ geben.“

Nur die Moderne nach Armenien zu bringen genügt Tigran Mikayelyan allerdings nicht ganz. Er wünscht sich etwas Umfassenderes, genauer gesagt einen intensiveren, tänzerischen Austausch überhaupt zwischen Europa und Armenien. Von Workshops spricht er und von Dozenten-Austausch. Aber auch ein wenig von Charity, die seiner Meinung nach vonnöten ist. „Denn die Spiegel in der staatlichen Ballettschule in Eriwan sind immer noch zersplittert und geklebt, die Wasserrohre und die sanitären Einrichtungen dringend reparaturbedürftig.“ Zudem sei es wichtig, in Armenien die Motivation zum Tanzen aufrecht zu erhalten, vor allem bei Jugendlichen. „Wir möchten eine richtig solide Brücke nach Armenien aufbauen“, sagt Mikayelyan. „Wenn das jemand schafft, dann wir und jetzt.“

Am 5. Juli treten die Tänzer von Forceful Feelings nun zum ersten Mal in Deutschland auf. Im Carl-Orff-Saal der Münchner Philharmonie am Gasteig zeigen sie ein Galaprogramm, das sich von dem, was man aus großen Häusern kennt, bewusst unterscheiden soll. Die Perlen der Kette bilden zwar klassische Pas de Deux, etwa aus „Nussknacker“ (Arman Grigoryan und Galina Mihailova), „Schwanensee“ (Vahe Martirosyan und Viktoria Kapitonova) oder „Don Quichote“ (Tigran Mikayelyan und Daria Sukhorukova). Doch zwischendurch tanzen die Männer von Forceful Feelings Intermezzi, die die Stücke emotional mit einander verbinden und so die Bedeutung von Zusammenhalt überhaupt transportieren sollen. „Mit diesem Konzept sind wir auf höchstem tänzerischen Niveau, wie es das Publikum der großen deutschen Kompanien gewohnt ist“, freut sich Mikayelyan, „und doch präsentieren wir damit einen ganz neuen Gala-Charakter. Ich denke, es wird den Zuschauern gefallen.“

Münchner Fans dürfte die Vorstellung auch deshalb interessieren, weil Tigran Mikayelyan ausnahmsweise mit seiner Partnerin Mia Rudic, Corpstänzerin im Bayerischen Staatsballett, auftritt. Die beiden zeigen „Memories of Arshile Gorky“, eine Choreografie des Armeniers Arsen Mehrabyan. In einer gewöhnlichen Gala gäbe es solche Spezialitäten niemals.

Forceful Feelings, 5. Juli, 19.30 Uhr, Carl-Orff-Saal der Philharmonie im Gasteig, München. Die Hälfte des Gewinns kommt der Staatlichen Ballettschule von Armenien zugute.

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