In Abhängigkeiten verstrickt und gefangen

Dance Theatre CHANG aus Korea beim Simple Life Festival auf Kampnagel

Hamburg, 14/11/2010

Namjin Kim, geb. 1968 in Südkorea, war Schauspieler, bevor er sich dem Tanz zuwandte. Er arbeitete in verschiedenen modernen Ensembles in Korea und Europa (zuletzt bei Les Ballets C de la B), bevor er 2006 seine eigene Kompanie gründete: das Dance Theatre CHANG. Jetzt gastierte er im Rahmen des Simple Life Festivals erstmals in Hamburg: „Story of B“ und „Brother“ heißen die beiden Stücke, jeweils für zwei Tänzer. „Story of B“ ist ein Dialog zwischen einem Mann und einer Frau – „Begging“ heißt das Stück auch, weil es um Abhängigkeiten geht, um das Bitten, Erbitten, Betteln – und das Gegenteil: Abwehr, Verneinen, Verweigern.

Ein Mann kritzelt mit Kreide auf den Fußboden, die Frau schläft daneben. Im Schlaf dreht sie sich immer wieder so, dass sie ihm im Weg ist. Er steht auf und bewegt sich marionettenhaft über die Bühne. Die Beine knicken ein, der Körper verdreht sich, fällt hin, zuckt, wälzt sich wie in Krämpfen – ein gespenstisches Szenario. Mittlerweile ist die Frau erwacht und kritzelt selbst auf den Boden und an eine Wand im Hintergrund. In der Folge kreiseln beide umeinander, mal aggressiv und grob, mal zärtlich und zugetan. Das alles geschieht lautlos, ohne Musik. Die setzt erst ein, als die beiden weit auseinander sind – sich unabhängig voneinander bewegen: „Pale blue eyes“ von Velvet Underground, eine sehr zärtliche, feine, elegische Musik. Und dazu gelingen Namjin Kim Szenen von eindringlicher Poesie: Die Frau schlängelt, robbt und wälzt sich vorwärts. Die Finger immer wieder auffächernd und zusammenziehend wie die Flügel eines Vögelchens, bewegt sie sich zu ihm hin, der regungslos auf dem Boden liegt. Und sie treten ein in einen stummen Dialog zu zwei Körpern – der von ihm mal aggressiv, mal hingebungsvoll gestaltet wird, von ihr drängend, zärtlich, umgarnend, werbend – bis die Musik endet. Sie bleibt liegen, während er sie stereotyp anfährt: „I will fuck you“, oder bedrängt: „Please fuck me“. Sie ist seinem brutalen Zugriff ausgeliefert, willenlos, schlaff, wie tot. Erst spät erwacht sie wieder zum Leben, wehrt sich, packt ihn und schleppt ihn schließlich wie einen Gefangenen in die Bühnenmitte, wo sie ihn fallenlässt und weggeht, während er ein koreanisches Lied anstimmt und das Licht langsam verlöscht.

Das zweite Stück, „Brother“, hat autobiografische Züge. Namjin Kim ist mit einem behinderten Bruder aufgewachsen – Menschen mit Behinderungen wurden in der Militärdiktatur Südkorea jedoch ausgegrenzt, galten als ansteckend und wurden geächtet. Das enge, liebevolle Verhältnis der Brüder endete jäh, als Namjin Kim sich dessen bewusst wurde – er wandte sich ab, beschimpfte seinen Bruder, schlug ihn, ließ ihn allein. Erst spät erkannte er, was er damit getan hatte – und „Brother“ ist letztlich eine Abbitte, denn der Bruder hatte ihm die Liebe nie aufgekündigt. Diesen Bruder tanzt der spastisch gelähmte Performer Sungkuk Kang – und er ist die Offenbarung des Abends. Wie er seine Behinderung, die sich immer wieder verkrümmenden Gliedmaßen, ins Positive wendet – wie er aus einem Gebrechen eine Gabe macht, das ist schon sehr berührend und besonders, zumal er sich ebenso authentisch wie ästhetisch zu bewegen vermag.

Allein das hat den Besuch der Vorstellung gelohnt und wird den Zuschauern eindrücklich in Erinnerung bleiben – ebenso wie die wunderbare Livemusik mit einem traditionellen koreanischen Zupfinstrument, Xylophon und Gesang. Schade nur, dass man den Inhalt der (koreanischen) Lieder nicht verstand. Und mehr als schade auch, dass das im Programm angekündigte Gespräch mit Namjin Kim im Anschluss an die Vorstellung nicht stattfand. Es wäre interessant gewesen, von ihm selbst mehr über diese Stücke zu erfahren. Denn – wie auf Kampnagel leider üblich – war der Programmzettel zu beiden Stücken wieder einmal mehr als dürftig. Nochmal schade.

www.kampnagel.de

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