„Continu” – to be continued …

Ein Gespräch mit Sasha Waltz

Berlin, 10/11/2010

Sasha Waltz ist eine vielbeschäftigte Künstlerin. In den letzten Monaten hat die Choreografin nicht nur eine Tournee durch den Mittleren Osten absolviert, das zehnjährige Jubiläum ihres Erfolgsstücks „Körper” gefeiert und eine Oper in Paris inszeniert, sondern auch zwei Stücke erarbeitet, die nun kurz hintereinander in Berlin zu sehen sind - „Continu” zur Eröffnung des Festivals spielzeit'europa im Haus der Berliner Festspiele und „Métamorphoses” in Waltz’ Stammhaus, dem Radialsystem V. Kurz vor dieser doppelten Premiere sprach Frank Weigand mit Sasha Waltz über Tanz-Events, den Umgang mit Musik, die Tücken des Opernapparats und ihre ganz persönlichen Träume vom eigenen Theater.

Redaktion: Sowohl „Continu” als auch „Métamorphoses” verwenden Material, das Sie für Ihre großen Museumsprojekte in Berlin und Rom entwickelt hatten. Was ist der Unterschied zwischen den beiden Formen?

Sasha Waltz: „Continu” ist ein klassisches abendfüllendes Bühnenstück, das aus diesem Material entstanden ist. Ich habe bestimmte Elemente genommen und dann ganz stark weiterentwickelt. Natürlich lässt sich die Raumsituation der Museen nicht in eine Bühnensituation übertragen. Also habe ich mich für einen ganz reduzierten schwarzen Raum entschieden und für eine Konzentration auf die Bewegung und die Körper. Im Museum waren es viele kleine Gruppen, die in unterschiedlichen Räumen gearbeitet haben und hier haben wir eine große Gruppe in ein und demselben Raum. Gleichzeitig habe ich gedacht: Ich kann das ganze andere Material nicht einfach wegwerfen. Also habe ich beschlossen, das Museumsprojekt mit dem Solistenensemble Kaleidoskop im Radialsystem weiterzuentwickeln.

Die „Métamorphoses” sind in gewisser Weise Excerpts dieser Arbeit, kurze Teile hintereinander mit unterschiedlichen Musikstücken. Der innere Zusammenhalt ist die Geschichte, die Herkunft dieses Materials.

Redaktion: Sie nennen „Continu” ein klassisches Bühnenstück. Gibt es dort auch einen thematischen Faden?

Sasha Waltz: Ich habe mich sehr früh entschieden, das Stück „Arcana” von Varèse zu bearbeiten, ein sehr intensives Werk für 120 Orchestermusiker mit riesigem Schlagwerk, das einen unglaublichen Drive hat, etwas Archaisch-Gewalttätiges. Die Archaik beschäftigt mich schon längere Zeit. Ich interessiere mich für die inneren Kräfte, die alles zusammenhalten. Man kann das Lebenskräfte nennen, aber es geht eher um den Kreislauf von Leben und Sterben, von Kreation und Zerstörung, der für mich gekoppelt ist. In „Continu” geht es um ein „Wollen”, das sowohl die Begierde und das Verlangen in zwischenmenschlichen Beziehungen meinen kann, als auch etwas viel Größeres: den Antrieb, die Motivation, den Impuls für das Leben. Das steckt für mich sehr stark in dieser Musik.

Hier wird das noch durch die Gruppendynamik intensiviert. Es sind 25 Tänzer, und keiner verlässt während des Stücks die Bühne. Sie sind sich also auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Diese Konzentration steigert sich bis zu einer Besessenheit, die etwas Zerstörerisches hat, so dass die Gruppe beginnt, Grenzen zu überschreiten, zu weit zu gehen. Und im zweiten Teil wird dieser erste Teil gegengespiegelt, durch den Verstand, die Ordnung, die Struktur, die Distanz. Das findet dann in einem weißen Raum statt. Es ist ein sehr choreografisches Stück geworden – vielleicht das tänzerischste, das ich je gemacht habe –, und ist auch körperlich sehr anstrengend für die Tänzer. Es ist einerseits sehr simpel, doch auf der anderen Seite haben alle Interpreten sehr gelitten, weil diese Gruppe immer zusammengepresst ist. Und genau das generiert eine unglaubliche Energie.

Redaktion: Finden Sie das Hin- und Herwandern zwischen diesen Site-specific-Projekten und traditionellem Bühnenraum nach wie vor inspirierend? Bleibt nicht bei so einem großen Event wie der Einweihung des Neuen Museums auch künstlerisch einiges auf der Strecke?

Sasha Waltz: Ich sehe diese Arbeiten nicht als „Events”. Das Projekt im Neuen Museum ist in erster Linie aus einer Faszination für diesen Raum geboren. Das war wirklich eine Einweihung im wahrsten Sinne des Wortes. Man öffnet diesen Raum und bringt ihm positive Energie, auch im geistigen Sinne. Das hat sicherlich Pathos, aber dazu muss man stehen. Das ist wie eine Reinigung, ein Prozess, um Orte mit neuer Bedeutung zu füllen und neu zu beleben. Ich finde es sehr wichtig, dass Kunst auch diese Funktion haben kann. Im Grunde ist das auch eine politische Handlung. Wenn ich mit den Tänzern in diesen Räumen arbeite, ist das wie ein Dialog mit den Spuren, die die Geschichte hinterlassen hat. Trotzdem bedeutet das nicht, dass ich weg aus dem Theater will. Ich liebe auch den Fokus, die Ruhe und die Möglichkeit, die Wahrnehmung des Zuschauers, alle seine Sinne zu schärfen. Und das Teilen dieses Moments. So ist das auch, wenn ich Oper mache. Da kommt dann mit dem Gesang noch ein anderes Element hinzu – und die Idee des Gesamtkunstwerks fasziniert mich sehr.

Redaktion: Am 27.August 2011 werden Sie Ihre erste Oper „Dido & Aeneas” unter freiem Himmel in der Berliner Waldbühne zeigen. Das ist dann aber schon eher ein Event, oder?

Sasha Waltz: Die Idee wurde geboren, als wir „Dido & Aeneas” in Lyon in einem alten römischen Theater gespielt haben. Das war ein magischer Ort. Kurz vor dem „Lamento” hat es zu regnen begonnen und geblitzt und gedonnert. Die Musiker sind in kleiner Formation auf die Bühne gekommen, und wir haben im Regen weitergetanzt. Das war ein sehr bewegender Moment. Die Waldbühne ist noch wesentlich größer, das ist tatsächlich noch etwas anderes als die Aufführung selbst. Es geht vielleicht eher auf diesen alten Begriff der Oper als Volkstheater zurück, was ich auch schön finde. Die Besucher können in ihrem Picknickkorb etwas zu Essen mitbringen und zum Sonnenuntergang noch ein Glas Wein trinken, bevor dann die Aufführung beginnt – das ist Oper für alle, auch für diejenigen, die vor dem Musentempel eine Hemmschwelle spüren. Es geht dabei auch um die Öffnung hin zu einem breiteren Publikum und endlich können wir einmal mehr Karten anbieten.

Redaktion: Ein Teil Ihres Gesamtkunstwerks ist die Musik. Wie arbeiten Sie an der choreografischen Umsetzung von Musikstücken?

Sasha Waltz: Meistens beschäftige ich mich bereits im Vorfeld über einen sehr langen Zeitraum hinweg mit der Musik. Ich vertiefe mich in die Thematik, um herauszufinden, von was handelt die Musik, oder wie fühle ich die Musik? Und dann erarbeite ich meine Version dieser Thematik. Ich habe natürlich das Werk in mir, aber ich arbeite eher im Dialog mit der Musik und baue nicht im strengen Sinne auf ihr auf. Das macht die choreografische Arbeit freier und musikalischer – weil so die Bewegung viel lebendiger mit der Musik in Kontakt kommen kann, als ihr hörig hinterherzuarbeiten.

Bei „Impromptus” 2004 habe ich zunächst direkt auf die Musik choreografiert und dann wieder alles verworfen, weil es zu leblos war. Seitdem beschreite ich einen anderen Weg. Wenn meine Sprache eine Form gefunden hat, dann kann ich auch der Musik begegnen. Und schlussendlich wird die Bewegung natürlich ganz präzise mit der Musik verwebt.

Redaktion: Egal ob klassisches Tanzstück oder Opernproduktion – Sie bezeichnen Ihre Arbeitsweise als „choreografisch”. Heißt das, dass Sie mit Sängern und Tänzer genau auf die gleiche Art und Weise arbeiten?

Sasha Waltz: Für „Passion”, meine letzte Opernarbeit in Paris, trifft das absolut zu. Die beiden Solisten Barbara Hannigan und Georg Nigl haben eine unglaubliche Sicherheit in der Stimme, die dann auch körperlich sehr viel Freiheit erlaubt. Mich interessiert dieser Wechsel zwischen den Disziplinen. Wir wollen jetzt Workshops machen, wo Sänger, Tänzer und Komponisten dabei sind. So dass man voneinander lernt und etwas gemeinsam aufbaut. Denn besonders in meiner Arbeit mit Komponisten gibt es wenig wirklichen Austausch: Letztendlich kriege ich doch immer das bereits abgeschlossene, ausgeschriebene Werk, das Orchester lernt das, die Sänger lernen das – und dann fangen wir an.

Den kreativen Teil macht der Komponist ganz allein in seinem Kämmerchen. Ich entwickle demnächst für die Mozartwochen in Salzburg ein Projekt mit dem Komponisten Mark Andre. Dabei wollen wir wirklich parallel arbeiten. Er kommt ins Studio und gibt mir ein Fragment – und dann arbeite ich daran, und er sieht sich das an... Wenn man gemeinsam kreiert, muss das auch für beide Seiten den Arbeitsprozess verändern.

Redaktion: Ist das ein subversives Erbe aus der freien Szene? Dieses prozessuale Arbeiten, das Sie nun in große Apparate wie Salzburg oder internationale Opernhäuser einschmuggeln?

Sasha Waltz: Ich habe schon immer so gearbeitet. Meine Stückentwicklung ist immer ein langer Prozess. Deswegen haben wir unsere Opern ja immer selbst produziert – weil wir nicht nur sechs Wochen an einem Produkt arbeiten. Sondern ein langer Weg von Austausch und Recherche vor der Kreation steht. Je mehr Mitarbeiter diesen Prozess gemeinsam erleben, desto befruchtender ist das für mich. Wenn jemand zum Beispiel zwar Kostüme macht, aber nie auf der Probe ist, und einfach nur was abliefert, dann kann ich mir die Sachen genauso gut auch im Laden kaufen.

In der großen Opernmaschinerie geht es nur noch um das Handwerk. Und genau deshalb funktioniert Oper oft nicht. Weil man den kreativen Prozess beschneidet. Der kreative Prozess muss aber intensiviert werden. Opernhäuser sollten weniger produzieren und dafür längere und intensivere Arbeitsprozesse ermöglichen. Ich glaube, dass dann ganz andere Stücke herauskommen, wenn sie aus der Kreation denken – und nicht primär vom Markt oder vom Geld her gedacht werden. Am Ende sind diese Arbeiten nicht nur künstlerisch, sondern auch wirtschaftlich erfolgreicher, weil sie auf Nachhaltigkeit bauen und nicht sofort wieder abgespielt sind.

Redaktion: Vor zwei Jahren haben Sie sich gesundheitsbedingt kurz aus dem Betrieb zurückgezogen und danach in Interviews gesagt, dass sie gerne wieder die Luft hätten, auch kleinformatig zu forschen. Was ist daraus geworden?

Sasha Waltz: Die Tatsache, dass jetzt „Continu” wieder so groß geworden ist, hat viel damit zu tun, dass ich die Verantwortung für eine Kompanie trage. Ich möchte den jungen Tänzern natürlich Stücke anbieten und sie bei mir halten. Und deshalb werden die Stücke einfach größer. Aber als Reaktion darauf habe ich ja die Oper. Bei „Passion” waren es nur zwei Solisten, sowie je sechs Tänzer und sechs Chorsänger, also ein viel kleineres Ensemble. Ich versuche, kleinere Formationen zusammenzustellen, wenn ich das eben vereinbaren kann. Denn die Tänzer wollen natürlich auch kreieren. Eigentlich würde ich gerne auch andere Choreografen einladen, um mit meinen Tänzern zu arbeiten. Aber dazu reichen unsere Kapazitäten nicht aus. Dann müsste ich im Grunde irgendwie wieder an ein Haus.

Redaktion: Damals, als Sie an der Schaubühne waren, haben Sie etwas Ähnliches bereits versucht...

Sasha Waltz: Genau. Da war Benoît Lachambre da, und auch Emio Greco und Constanza Macras haben einmal etwas Neues gemacht. Und das wollten wir eigentlich weiterentwickeln. Im Moment würde sich das wirklich anbieten. Ich fände wichtig, dass meine Tänzer bestimmte Stücke aus der klassischen Moderne kennenlernen. Nach dem Weggang von der Schaubühne und dem Aufbau des Radialsystems habe ich jetzt eine Art Wendepunkt erreicht. Es ist schön, dass wir unser Studio im Radialsystem haben. Es entwickeln sich dort wunderbare Probenprozesse, durch die räumlichen Möglichkeiten können wir dort sogar auch Opernproduktionen, Parallelproben von Chören und Orchestern, realisieren.

Aber: Das Haus ist einfach nicht groß genug, um alle Stücke da zu zeigen, die ich erarbeite. Mein Repertoire ist ja sehr gewachsen in den 17 Jahren, wir haben aber kein Haus, um das zu zeigen. Wir sind abhängig vom Spielplan der anderen Häuser. In den letzten vier Jahren z.B. haben wir in der Staatsoper Unter den Linden, im Haus der Berliner Festspiele, in der Schaubühne am Lehniner Platz, im Radialsystem, und im Museum gespielt. Es war eine Zeit lang interessant, unterschiedliche Orte zu bespielen, aber jetzt spüren wir so langsam, dass wir ein echtes Zuhause brauchen. Wir bräuchten eigentlich ein Theater, wo wir kontinuierlich unser Repertoire spielen können. Auch das Publikum sehnt sich danach…. wir haben immerhin eine konstant sehr hohe Auslastung, aber eben ohne festes Haus. Es ist absurd, dass wir darum kämpfen müssen, hier in Berlin unsere Opern zu zeigen. Wir wissen z.B. noch nicht, wo wir in Berlin „Passion” zeigen können. An einem solchen Haus könnte man dann auch die Idee eines Repertoires des zeitgenössischen Tanzes verwirklichen. Naja, das sind so Träume...

„Continu” bei Festival spielzeit'europa im Haus der Berliner Festspiele: vom 11. bis 14. November um 20 Uhr. „Métamorphoses” am 19. und 21. November um 20 Uhr, 20. November um 19 Uhr im Radialsystem V,. www.sashawaltz.de www.berlinerfestspiele.de www.radialsystem.de

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