Glanzvoller Abschluss einer besonderen Karriere

Ballett-Dirigent André Presser vollendet nach 50 Jahren seine Laufbahn

Hamburg, 22/03/2010

Konfetti vom Schnürboden der Hamburger Staatsoper – das gibt es sonst nur zum Abschluss der Spielzeit bei der Nijinsky-Gala. Am 20. März 2010 hatte Hamburgs Ballett-Intendant John Neumeier den bunten Papier-Regen von San Francisco aus (wo derzeit seine „Kleine Meerjungfrau“ Amerika-Premiere feiert) eigens angeordnet – für den dienstältesten und erfahrensten aller Ballett-Dirigenten: André Presser. Der – so seine Selbstcharakterisierung – „beste Tänzer unter den Musikern und beste Musiker unter den Tänzern“ – beendete mit der letzten Vorstellung von „La Sylphide“ in dieser Spielzeit seine bemerkenswert lange Karriere:

Seit 50 Jahren steht der eher schmächtige Rotschopf („Karotte“ hatte ihn Rudolf Nurejew stets genannt) im „Grab“, wie er seinen Aufenthaltsort im Orchestergraben mit dem ihm eigenen trockenen Humor stets zu nennen pflegte. Es gibt wohl kaum ein Opernhaus in der Welt, in dem er dort noch nicht am Pult gestanden hat, wenn Ballett auf dem Spielplan stand – die Met in New York kennt er ebenso wie die Häuser in Berlin, Wien, Dresden, San Francisco, Paris, Zürich, Mailand, Rom, Boston, Buenos Aires, London, Genf, Barcelona, Monaco, Kapstadt und St. Petersburg.

Allein für Rudolf Nurejew hat er 250 Vorstellungen in der ganzen Welt bestritten, von 1978 bis 1991 ist er Chefdirigent für das Ballett in Zürich, von 1991 bis 2001 in beim Bayerischen Staatsballett in München. Obwohl offiziell in den Ruhestand verabschiedet, musste man ihn nicht lange bitten, hier und da Vorstellungen zu übernehmen – beim Staatsballett Berlin gastierte er ebenso wie in Dresden und Wien, bei Birgit Keil in Karlsruhe, vor allem aber in Hamburg, wo John Neumeier seine Souveränität vor allem bei schwierigen Klassikern wie „Bayadère“, sein Einfühlungsvermögen bei der „Kameliendame“ oder seine immense Erfahrung bei den Herausforderungen der Nijinsky-Galas zu schätzen wusste.

Kein Dirigent und kein Musiker kennt das Ballett so gut wie André Presser – und kaum jemand hat mit so vielen legendären Tänzern, Choreografen und Komponisten zusammengearbeitet. Seit seinem Debüt als Dirigent 1960 in Barcelona mit „Giselle“ (damals mit der legendären Yvette Chauviré und Yuri Algarov) hat er weltweit über 4500 Vorstellungen dirigiert – Ballette unterschiedlichster Choreografen zu alter und neuer Musik, viele sogar in verschiedenen Versionen.

Mit „La Sylphide“ nahm er in Hamburg nun endgültig Abschied von Tänzern und Musikern – eine schwere Lungenerkrankung macht ihm schon seit Jahren zu schaffen. Zuvor jedoch trat erst einmal Hamburgs Ballett-Betriebsdirektorin Ulrike Schmidt in Vertretung John Neumeiers vor den Vorhang. Sie bat den niederländischen Kulturattaché auf die Bühne, der im Namen der niederländischen Königin André Presser zum Ritter des „Ordre van de Neederlandse Leeuw“ ernannte. Eine gelungene Überraschung für den sonst lieber im Hintergrund wirkenden Dirigenten, der sichtlich gerührt war über diese hohe Ehre – denn diese Auszeichnung wird nur wenigen zuteil, ist sie doch die höchste, die Königin Beatrix zu vergeben hat.

Und so geriet denn auch diese „Sylphide“ – wie alle Abende unter dem Dirigat André Pressers – zu einer der Sternstunden, wo sich Tanz und Musik aufs Feinste verbinden. Hélène Bouchet war eine stilsichere, ätherisch zarte Sylphide mit atemberaubenden Balancen, Thiago Bordin ein brillanter und ebenso sprunggewaltiger wie eleganter James, und die Hamburger Philharmoniker spielten die wahrlich nicht gerade erhebende Musik Jean-Madeleine Schneitzhoeffers so schön, so einfühlsam und so fein, dass selbst die schmalzigsten Stellen zu duftig-zartem Soufflé gerieten. In jeder Geste, jeder Pose, jeder Phrase stimmten Musik und Tanz überein – eine Kongruenz, wie sie nur André Presser aus dem Graben heraus zustande zu bringen vermag. Das Publikum dankte es ihm mit Standing Ovations. Tänzer und Musiker gleichermaßen werden ihn, seine Kunst und vor allem auch seinen unverwüstlichen Humor unendlich vermissen.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern