Zwischen Kampf und Coitus

David Zambranos Männerstück „Shock“ lässt das Radialsystem erbeben

Berlin, 24/08/2009

Demonstrativ breitbeinig stehen sie über die volle Bühnenbreite im Radialsystem als Reihe, Unterlicht macht sie zu Silhouetten. Und doch strahlt schon dieses Standbild aus zwölf Männern Kraft und Sinnlichkeit aus. Der venezolanische, jetzt in Amsterdam lebende Tänzerchoreograf David Zambrano hat sie bei weltweiten Workshops kennengelernt und für eine 60-Minuten-Choreografie engagiert. „Shock“ verknüpft kühn asiatische Kampfkunst mit europäischer Klassik: Exzerpte aus Mozarts „Requiem“ und Verdis „Messa da Requiem“ tragen einen explosiven Ausflug in die Widersprüche männlichen Empfindens. Da wollen zwei zueinander, nur ein kleines Lichtquadrat trennt sie. Mit zischenden Lauten suchen sie die Sperre in ihren Körpern zu überwinden, rasen springend aneinander vorbei, schreien sich zu machtvollem Mozart-Chorus gegenseitig in den Mund, ehe sie den Mut finden, sich schlicht an die Hand zu nehmen.

Mit meist berührungslosem Kampfgetöse von ungeheurer Energie gehen die anderen aufeinander los, ganzkörperlicher Afrotanz bringt witzig eine asiatische Präzisionspose zum Einsturz. Als sich alle im Lauf einen, wälzt sich die Menge in wechselnder Konstellation wie eine dynamische Überamöbe durch den Raum, die sich zur Engskulptur ballt, dann auseinanderplatzt und aus der Einzelne im Sprung wie Lavafontänen hochschießen. Nachdem sich der Wanderpulk hinreichend gehetzt und behindert hat, sinken alle stöhnend übereinander wie zum Gruppensex, lauschen einem Chorus. Als sich eine verschachtelte Standplastik formiert, zerstört der Asiate die intime Form. Das kampfkünstlerische Kind im Mann glaubt, sich mit Einschüchterungsgehabe, Comiclauten und Gebrüll in Kriegsposen eitel austoben zu müssen; Zärtlichkeit ist verpönt. Zambrano gießt das mit viel Selbstironie in skurrile Bilder, lässt Paare zunächst wie Bewegungsroboter agieren, findet dann für Liebe eine berührende Metapher: Zu „Love me Tender“ von Elvis Presley treffen zwei Männer im Rückwärtskreis wiederholt zusammen, gehen ein Stück Wegs, verlieren sich wieder.

Wie schwer sich Männer mit Liebe tun, zeigt die folgende Szene. Fünf eingehakte Paare schlurfen blicklos über die weiße Bühne, changieren immer wieder zwischen Streitpose und Tangofassung, zwischen Kampf und Coitus, zu dem sie in stöhnendem Betasten zu Boden gehen. Das kann nur in Schreianfällen und Wälzausbrüchen gesühnt werden. Wirft sich die exzellente Mannschaft sonst mit physischer Attacke der dramatischen Musik entgegen, hört sie einmal lange in Reihenaufstellung respektvoll dem Duett von Alt und Sopran zu. Dann greifen die Männer als Gruppenformation den Rückwärtsgang jenes Paares auf, finden sich, nun ohne jede Ironie, in Zweierumarmung, aus der sich jeweils ein Partner entzieht, um sich der stehenden Pose des anderen neu einzufügen. Wie eine sich im Raum fortpflanzende Skulptur wirkt das, doch auch Angst klingt an. Alle zitieren am Ende die Lauf-Spring-Sequenz des Eingangspaares; nach einem vibrierenden Solo fügt sich auch der Asiate still der rückwärtigen Reihe ein, aus der sich das Stück entwickelt hat: das beste seit langem.

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