Die letzte Hommage an die ewige Zweiflerin

Das Tanztheater Wuppertal nimmt Abschied von Pina Bausch und plant erste Schritte in eine Zukunft ohne die Vordenkerin

Wuppertal, 10/09/2009

Keine Verbeugung. Nichts, was die Erinnerung hätte stören können. Nachdem die Tänzer ihre Trauerfeier beendet haben, bleibt auf der Bühne nichts zurück als Leere. Wie am Anfang der Vorstellung erhellt matter Scheinwerferschein jenen magischen Ort, auf dem Pina Bausch 35 Jahre lang immer wieder „die weißen Felder auf den Landkarten der menschlichen Seele“ erforscht hat.
Sie „hat gesehen, wo wir anderen im Dunkeln tappen“ - so hat sich Wim Wenders zuvor ebenso bewegt wie bewegend das Phänomen Pina erklärt - und den „den Blick für all das geschärft, was wir mit unseren Gesten über uns selbst verraten“. Der befreundete Filmemacher, der nun doch einen Film über die Begründerin des Tanztheaters Wuppertal drehen will, würdigt in seiner schönen, sensiblen Trauerrede nicht nur die „einzigartige Phänomenologie der Gesten“, die sich in ihren „Stücken“ dokumentiert. Für ihn ist Pina Bausch eine „Wissenschaftlerin, eine Forscherin“. Mehr noch: eine „Mutter, Frau, Freundin, Vertraute, Tänzerin, Choreografin, Theaterleiterin, ewige Zweiflerin, unermüdlich harte Arbeiterin, fürsorgliche Vorgesetzte, bescheidener Weltstar“. Ja, natürlich auch das: eine „Kettenraucherin“. Wohl nicht ganz zufällig ist sie am 30. Juni, knapp 70-jährig, einer Krebserkrankung erlegen.

Während seiner Rede räkelt sich bereits Mechthild Grossmann am Rand der Bühne, das Weinglas in der Hand. Scheinbar angesäuselt, tröstet sie sich über den „historischen Verlust“ hinweg, von dem Wim Wenders zuvor gesprochen hat. Und wie beim „Walzer“ 1982 im Theater Carré in Amsterdam bettelt sie ihr imaginäres Gegenüber an: „Noch ein Weinchen, noch ein Zigarettchen - aber noch nicht nach Hause, ne?!“ Warum auch? Niemand verlässt türschlagend die Wuppertaler Oper wie noch vor dreißig Jahren. Im Gegenteil. Alle wollen dabei sein, wenn sich die Mitglieder des Tanztheaters in das „Orchester von Pinas Blick“ verwandeln und jeder Einzelne seine „Instrumentenstimme“ erhebt: Noch einmal kommuniziert Lutz Förster mit seinem Körper „The Man I Love“, Jo Ann Endicott scheint sich zu verpuppen, Malou Airaudo lauscht bewegungslos auf einem Stuhl „La vie en rose“, und Dominique Mercy, wie sie ein Protagonist der ersten Stunde, trägt wie die anderen noch einmal tanzend seinen Teil bei, bevor der Abend nach eineinhalb Stunden völlig verstummt - und das Publikum das furiose Finale wie ein Vermächtnis feiert und als eine Verpflichtung. „Machen Sie weiter! Das ist im Sinne von Pina Bausch. Sie waren und sind eine Familie“, meint denn auch NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, der sich seinen Wahlkampfauftritt nicht entgehen lässt.

Pina Bausch hat kein Testament hinterlassen. Einziger Erbe ist somit ihr Sohn Rolf Salomon, ein angehender Jurist, der die Rechte an den Werken hält. Er hat nach dem Tod seiner Mutter eine Pina-Bausch-Stiftung gegründet, die sich um Aufführung und Verbreitung ihrer Werke kümmert und ein „öffentlich zugängliches Archiv“ beinhaltet, das die „wissenschaftliche Erforschung der Grundlagen des Tanztheaters und seiner historischen Entwicklung ermöglichen soll“.
Wo das Archiv allerdings seinen Standort haben wird, ist derzeit noch ungewiss. NRW-Kulturstaatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff favorisiert die Kunstinsel Hombroich. Der Wuppertaler Oberbürgermeister Peter Jung dagegen möchte verständlicherweise die Hinterlassenschaften Pina Bauschs in ihrer „Alltagsstadt“ bewahrt wissen. Mit einer Schuldenlast von 1,8 Milliarden Euro steht Wuppertal allerdings derzeit kurz vor dem Bankrott.

Das Ensemble selbst wird derzeit von Dominique Mercy geleitet, gemeinsam mit dem Bausch-Assistenten und Probenleiter Robert Sturm. Auch Peter Pabst, seit dem Tod ihres Lebensgefährten Rolf Borzig ständiger Bühnenbildner der Bausch, hat offenbar ein gewichtiges Wörtchen mitzureden. Ebenso wie die Geschäftsführerin Cornelia Albrecht. Eile ist keine geboten: Am Donnerstag beginnt mit „Café Müller“ und dem „Frühlingsopfer“ der reguläre Spielbetrieb. Gastspiele in Brasilien, Ägypten, Frankreich, Spanien, Chile, Japan, Griechenland und der Türkei folgen - und auch die Termine der Saison 2010/11 scheinen mehr oder weniger allesamt fixiert.
Abgesagt ist allerdings eine Premiere, die am 21. Mai 2010 hätte stattfinden soll. So schnell lässt sich nicht wirklich ein Ersatz für Pina Bausch finden. Jochen Schmidt, über Jahre hinweg ein Wegbegleiter der Choreografin, macht sich derzeit für Meryl Tankard stark, die dem Ensemble in seiner besten Zeit angehört habe: „Sie wäre befähigt, das Tanztheater Wuppertal in eine kreative Zukunft zu führen.“ Allein, die Australierin ist zwar erst 55 und kann einige Erfolgsstücke vorweisen. Aber eine Pina Bausch zu ersetzen scheint schwierig; dafür ist sie ihr zu ähnlich. Besser: In ihrem Geiste in Wuppertal eines Tages etwas Neues mit veränderter Mannschaft beginnen. Warum nicht mit Marco Goecke? Der Wuppertaler ist ein bekennender Bausch-Adept - und künstlerisch, wie man nicht zuletzt in Stuttgart weiß, alles andere als ihre Kopie.

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern