Widerstandslos der Musik ergeben

Die Silvester-Ballettgala für den Choreografen Uwe Scholz

Stuttgart, 02/01/2009

Es war nicht unbedingt die funkensprühende, mit Virtuosenstückchen gespickte Ballettgala, die man sich sonst zu Silvester wünscht. Stattdessen gab es im Stuttgarter Opernhaus eine Hommage voll Liebe und höchstem Respekt: Am letzten Tag des alten Jahres wäre der Choreograf Uwe Scholz 50 Jahre alt geworden, und vier Jahre nach seinem allzu frühen Tod feierten ihn die drei großen Ballettkompanien, die er nacheinander als Hauschoreograf oder Ballettdirektor geprägt hat: Stuttgart, Zürich und Leipzig. Ihre hingebungsvollen, vor Freude und Tanzlust nur so berstenden Beiträge ließen keinen Zweifel daran, wie gut das Erbe gepflegt wird und wie der schmale und zarte, innerlich oft so zerrissene Ballettschöpfer in seinen Werken weiterlebt.

Schon rein musikalisch sei die Gala mit Werken von Schumann, Mendelssohn-Bartholdy und Beethoven „ein Traum“, so der Stuttgarter Ballettintendant Reid Anderson, der dann artig dem Orchester dankte, dass es überhaupt spielt – das Publikum verstand die ironische Anspielung bestens. Die „Zweite Sinfonie“ von Robert Schumann choreografierte Uwe Scholz 1990 für Zürich und übernahm sie dann später nach Leipzig. Das konzertante Ballett, wie alle Beiträge des Abends vom Choreografen selbst ausgestattet, zeigt exemplarisch den typischen Scholz-Stil: die kleinen Motive, die durchgehend in allen vier Sätzen wieder auftauchen, die geometrischen Muster wie Diagonale oder Kreis, den Kontrast zwischen Solisten und Corps de ballet, die notengetreue Musikalität. Bei aller abstrakten Neoklassik arbeitet Scholz dabei nicht so intellektuell abgezirkelt, so kühl analysierend wie George Balanchine, sondern saugt das Pathos der Werke direkter in seinen Tanz auf, spiegelt Dur in freudigen Sprüngen und hellem Licht, Moll in elegischen Armen und abgetöntem Licht. Er setzt der Musik nur selten Widerstand entgegen, die über die Bühne fegende Brillanz der Allegros überlagert doch manchmal die nachdenklichen, zarten Stellen seiner Choreografie. Wie alle drei Kompanien des Abends tanzte das Leipziger Ballett in perfekten Linien und mit musikalischem Furor – beseelt nicht einmal von der Konkurrenz, sondern von der festlichen Geburtstagsstimmung, die den ganzen Abend trug. Im Vordergrund standen die ausdrucksvollen Solistinnen Oksana Kulchytska und Itziar Mendizabal, ihre Partner Jean-Sébastien Colau und Martin Chaix waren fast nur als Stützen und Träger im Einsatz.

Weit besser kamen die Züricher Herren in „Oktett“ weg, dem jüngsten der drei Ballette, choreografiert vom 28-jährigen Uwe Scholz zum Streicher-Oktett des 16-jährigen Felix Mendelssohn-Bartholdy. Assoziativer in der Struktur und romantischer im Stil kontrastiert das viersätzige Werk immer wieder Männer gegen Frauen und wechselt in den einzelnen Sätzen jeweils komplett die Besetzung. Ebenfalls abstrakt und in warmen Braun- und Gelbtönen ausgestattet, hob sich das etwas kleinformatigere Werk erfreulich gegen die beiden doch sehr ähnlichen symphonischen Ballette ab - dass Scholz auch völlig anders choreografieren konnte, moderner und expressiv, zerfasert oder gebrochen, das war in dieser Gala leider nicht zu sehen. Es blieb der einzige Kritikpunkt.

1991 nahm sich Scholz in Stuttgart furchtlos Ludwig van Beethovens „Siebte Sinfonie“ vor und kombinierte die berühmte „Apotheose des Tanzes“ mit einem abstrakten Gemälde von Morris Louis. Die Silvesteraufführung wurde verziert von der besten Nachricht des Abends, dass nämlich Maria Eichwald nach zweijähriger Verletzungspause endlich wieder tanzt und uns sogleich mit wunderbar langen Balancen und ihrer feinen Phrasierung vorführte, was wir schmerzlich vermisst haben. Aber kaum ist die eine Hälfte des Traumpaars wieder da, kommt die andere abhanden: wer Jason Reilly noch ein paar Mal in Stuttgart sehen will, der sollte sich im nächsten halben Jahr beeilen. Wo die Leipziger also Scholz in linientreuer, musikgeborener Klassizität huldigten, wo die Züricher mit ihrer fließenden Eleganz den schönsten Ton für das „Oktett“ trafen, da wirbelten die Stuttgarter frisch und voller Spannung durch die „Apotheose des Tanzes“. Umjubelt wurden sie alle an diesem denkwürdigen Abend.

Wie klug, dass die großen Ballettkompanien, anders als manche Opern- und Schauspielsparte, durch alle Direktorenwechsel ihre eigene Vergangenheit hochhalten und weiter pflegen. Anders als Bücher oder Bilder, anders auch als klassische Musik, die man immerhin auf CD bannen kann, leben Ballette erst in dem Moment, wo sie auf der Bühne getanzt werden. Und so war dieser Abend auch eine Mahnung an all die großen lebenden Choreografen, an Jiří Kylian, Hans van Manen, John Neumeier, Heinz Spoerli und wie sie alle heißen, das Fortleben ihrer Werke sorgfältig zu sichern, sie nicht etwa durch fehlende Aufzeichnungen in Vergessenheit geraten zu lassen oder gar selbst zu verbieten wie Maurice Béjart und William Forsythe mit manchen ihrer berühmten Stücke. Wenn die Vergangenheit des Tanzes nicht mehr da ist, dann wissen wir irgendwann nicht mehr, wo die Moderne herkommt, gegen was sie sich empört hat, womit sie sich auseinandersetzt oder was sie weiterentwickelt. Genau wie John Cranko in jeder seiner Aufführungen in Stuttgart lebendig wird, so war Uwe Scholz an diesem Abend mitten unter uns.

Link: www.scholzballets.com

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