Vorsorglich mit Trauerflor

Die Wiederaufnahme von „Schwanensee“ beim Staatsballett

Berlin, 05/11/2009

Die 142. Vorstellung seit der Premiere. Seinerzeit hat noch Daniel Barenboim dirigiert, der Künstlerische Leiter und Generalmusikdirektor der Berliner Lindenoper. Steffi Scherzer, Primaballerina des Hauses, verkörperte die Odette/Odile, Oliver Matz debütierte als Prinz Siegfried.

Elf Jahre ist das her. Inzwischen ist der „Schwanensee“ an der Deutschen Oper beheimatet, von Michael Schmidtsdorff musikalisch betreut. Und es tanzt natürlich nicht mehr das Ballett der Staatsoper Unter den Linden, sondern das Staatsballett Berlin, das an beiden Häusern das künstlerische Erbe angetreten hat: tadellos im ersten Akt und im zweiten so homogen, wie man es von einer Spitzenkompanie erwartet. Der Verlust seiner Ersten Ballettmeisterin ist der Aufführung jedenfalls (noch) nicht anzumerken.

An der Aufführung selbst hat sich wenig verändert, auch wenn sie an der Deutschen Oper Raum hinzugewonnen hat. Christine Theobald, inzwischen Stellvertretende Ballettchefin und Betriebsdirektorin, hat 1997 als Dramaturgin für die Neufassung von Patrice Bart gedankliche Vorarbeit geleistet; von der Omnipräsenz der Königin spricht sie, vom vagen Verlangen Siegfrieds nach Selbstverwirklichung, vom Schwanensee als einem Ort, „der ihm Geborgenheit verheißt, der ihn unbewusst an die behütete Situation des Fötus im Fruchtwasser erinnert.“

Selbst beim wiederholten Sehen ist davon auf der Bühne nicht alles erkennbar. Zwar lustwandeln Mutter und Sohn während des Vorspiels einträchtig an den Seegestaden. Aber was später geschieht, unterscheidet sich nur unwesentlich von dem, was andere vor Bart erfunden haben. Allein die Königin dominiert deutlicher als sonst, und Benno, von Marian Walter auf wunderbare Weise zu einem derer von Sommerstein geadelt, himmelt seinen Prinzen so hinterrücks an, dass man das Konfliktpotential durchaus erahnt – das choreografisch allerdings längst nicht so brisant wird, wie man sich's nach der Lektüre des Programmbuchs eigentlich erhofft. Patrice Bart begnügt sich mit choreografischen Retuschen, wiederholt im ersten Akt seine neuen Schritte, belässt im zweiten die alte Pantomime, mischt im dritten geschickt Soli mit Ensembles und zitiert im vierten ebenso formstreng wie faszinierend noch einmal seinen Iwanow, bevor der Prinz erst dem Premier Martin Buczkós an die Gurgel, dann selbstmörderisch ins Wasser geht. Wonach der Königin am Schluss nichts anderes übrig bleibt, als zur Schmerzgestalt zu erstarren. Den Trauerflor hat sie sich vorsorglich schon mal umgelegt.

Vladimir Malakhov hat seinerzeit in der B-Premiere an der Seite von Elisabeth Maurin getanzt: so leichtfüßig und traumhaft, so sprungschnell und verspielt, so anmutig und dennoch aristokratisch, wie man sich das nur vorstellen kann. Inzwischen ist er als Prinz Siegfried in die Jahre gekommen. Seine Allüre ist ohne Makel, aber er setzt seine Schritte zu bedacht: das rechtes Bein scheint bandagiert, und offenbar gehandicapt erspart der Meister ohne jeden Hinweis sich und damit seinen Zuschauern Variation samt Coda im dritten Akt. Seine Partnerin hat das Nachsehen. Polina Semionova könnte der stärkste Schwarze Schwan sein derzeit auf einer deutschen Bühne, gäbe ihr jemand dazu die Gelegenheit. So trumpft sie nur technisch auf, ohne ihr tänzerisches Versprechen tatsächlich einlösen zu können – und bleibt als Odette hinter den Erwartungen zurück, kaum dass man sich den Schwan einer Eva Evdokimova in Erinnerung ruft. Im Vergleich mit der mittlerweile verstorbenen Primaballerina der Deutschen Oper wird deutlich, was ihrer noch so jungen Nachfolgerin bislang fehlt: eine Dimension des Poetischen nämlich, die das Publikum auch im Innersten berührt. Bewegend agiert bei der ausverkauften Wiederaufnahme lediglich Nadja Saidakova, und sie ist es denn auch, die diesen „Schwanensee“ am Ende als Königin krönt.

www.staatsballett-berlin.de

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