Verlorene Zeiten kommen nicht zurück

John Neumeiers „Tod in Venedig“ in Wien

Wien, 02/02/2009

Vorne weg: Die tänzerische und interpretatorische Qualität des Hamburg Ballett ist beeindruckend. John Neumeier versteht es, sein jugendliches, waches und vielseitiges Tänzer-Team aufs Feinste einzuschwören. Er gibt damit dem modernen Ballett in Zeiten des Umbruchs einen unverrückbaren hohen Stellenwert. Und er macht es sich und dem Publikum keineswegs leicht. Sein zweiteiliges Werk „Tod in Venedig“ , das sehr genau der Novelle von Thomas Mann abgelauscht ist, beginnt mit einem tatsächlich überfrachteten, kalten Neoklassizismus, der mit Teilen aus Bachs „Musikalischem Opfer“ unterlegt ist.

Neumeier zeigt Gustav von Aschenbach als Meisterchoreografen, der seinen Ruf mit einem Stück über Friedrich den Großen (Ivan Urban) endgültig festschreiben will. Der herausragende, intensive und berührende Lloyd Riggins spielt diesen Mann zunächst mit unerbittlicher Härte gegen sich selbst. Neumeier reizt im ersten Teil das Ringen des Aschenbach um seine Idee von edler Schönheit bis zum Letzten aus. Dann aber lässt er Richard Wagner, live am Klavier gespielt von der charismatischen Elizabeth Cooper, mehr und mehr werden. Emotionen und Sinnlichkeit tauchen auf, als gelte es verlorene Zeiten neu zu bestimmen. Es ist weniger eine homoerotische Anziehung, die diesen Aschenbach zu Tadzio führt, den Edvin Revazov als neugierigen Jungen gestaltet. Das endlich Lebenwollen scheint ihn, knapp vor dem Tod, zu treiben. Neumeier findet eindringliche Bilder für die dekadente Gesellschaft in Venedig und führt seinen Aschenbach wie in einem flirrenden Fiebertraum zur Erkenntnis.

Mit freundlicher Genehmigung des Kurier

 

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