Umjubelter „Nijinsky“ in Hamburg

Jubiläumsvorstellung anlässlich des 100. Geburtstags der Ballets Russes

Hamburg, 20/05/2009

Wenn der Intendant vor der Vorstellung vor den Vorhang tritt, bedeutet das meist nichts Gutes. Ganz anders in Hamburg am Abend des 19. Mai 2009 – da begrüßte John Neumeier das Ballett-Publikum persönlich zu einer ganz besonderen Vorstellung seines „Nijinsky“. Exakt vor 100 Jahren und nur eine halbe Stunde später nämlich traten in Paris erstmals die russischen Tänzer zu ihrer ersten Vorstellung als Ballet Russes auf die Bühne des Théâtre de Chatelet. Und Neumeier erinnerte zu diesem Anlass weniger an Nijinsky, der damals zum Star wurde, als vielmehr an Serge Diaghilew, den Impresario der Kompanie, der die Truppe 20 Jahre lang ohne jeden staatlichen Zuschuss erfolgreich über die Bühnen der Welt lotste, geleitet von dem unbändigen Willen, diese Kunst am Leben zu erhalten, sie weiterzudenken, nie aufzugeben. Man spürte, dass Neumeier – obwohl ja durchaus mit Subventionen gesegnet – wusste, wovon er spricht. Und weil an diesem 19. Mai 1909 „ganz Paris vom Tanz wie beschwipst“ war, wie Neumeier erzählte, gab es in der Pause für das Hamburger Publikum gratis ein Glas Sekt.

Die Gläser erheben durfte man wahrlich an diesem Abend – auf eine grandios tanzende Kompanie, auf die phantastisch aufspielenden Philharmoniker unter der Leitung von Rainer Mühlbach, auf einen Konzertmeister (Anton Barachovsky), der die schwierigen hohen Töne in den Passagen der Solo-Violine zu halten vermag, dass einem der Atem stockt, und ohne den diese Vorstellung im wahrsten Sinne des Wortes völlig vergeigt werden könnte. Vor allem aber auf drei Solisten, die an diesem Abend über sich hinausgewachsen sind: Anna Polikarpova als Romola, die fünf Monate nach der Geburt ihres Sohnes wieder die gleiche Vollkommenheit zeigte wie zuvor, nur noch eine Spur inniger, wissender, ruhiger, leuchtender; Alexandre Riabko als Nijinsky, der diese tänzerisch wie darstellerisch unglaublich schwierige und kraftraubende Rolle meisterhaft beherrscht, und dessen Bühnenpräsenz mitten ins Herz trifft; und Yukichi Hattori, der als Gast aus Kanada eingeflogen war, für den Neumeier die Rolle des Stanislaw kreiert hatte, Nijinskys Bruder, ebenfalls psychisch krank. Wie dieser kleine Japaner den jungen Mann zeichnet, seine Verzweiflung, seine Ausweglosigkeit, sein Außer-sich-geraten, das ist und bleibt unerreicht. Es war eine würdige und mit Standing Ovations bedachte Jubiläumsvorstellung im Andenken an die einzigartige russische Kompanie vor 100 Jahren, die inständig hoffen lässt, dass John Neumeier und dem Hamburg Ballett noch viele kreative Jahre beschieden sein mögen.

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