Romantik für flinke Beine und elegische Träumer

Ballette von Bournonville beim Ballett des Prager Nationaltheaters

Prag, 22/04/2009

Sonntagnachmittag, strahlende Frühlingssonne, das Prager Nationaltheater am Moldauufer ist um 15 Uhr besetzt bis auf den letzten Platz, die Fans auf den Stehplätzen. Ballett ist beliebt, das romantische besonders, die Klassiker wie „Schwanensee“ und „Nussknacker“, Neoklassiker von Cranko, „Onegin“ oder Youri Vàmos´ Version „Romeo und Julia“, gemäßigte Moderne, „Causa Carmen“ von Mats Ek oder der dreiteilige Abend von Ballettchef Petr Zuska, „Brel – Vysotsky – Kryl“, machen einen gewichtigen Teil des Repertoires der Bühnen des Nationaltheaters, zu denen auch die des historischen Ständetheaters gehört, mit Oper, Ballett und Schauspiel aus. Für das Experiment gibt es eine Neue Bühne und jetzt etabliert sich zudem das Tanztheater von Jan Kodet und Janek Ruzicka. Für die kommende Saison sind zwei abendfüllende Uraufführungen angekündigt. Für Dezember kündigt Libor Vaculík ein Faust-Ballett im historischen Ständetheater an, und Youri Vàmos bringt im April 2010 seine Version von Shakespeares „Othello“ mit Musik vom Leos Janácek auf die Bühne des Nationaltheaters. Heute regiert der Geist der Romantik. Zwei der legendären dänischen Choreografien von August Bournonville, die Frank Andersen, Eva Kloborg, Anne Marie Vessel Schlüter und Petrusjka Broholm in Mikael Melbyes am historischen Original von 1836 und 1842 orientierten Ausstattungen mit dem Ballett des Prager Nationaltheaters einstudiert haben, stehen auf dem Programm.

Zunächst „La Sylphide“, die romantische Ballade vom schottischen Hochland um den Bauern James, dem am Tag seiner Hochzeit mit Effie zunächst im Traum, dann in der Realität, die Sylphide erscheint. Und bald schon gehen Traum und Realität ineinander über. James lässt am Ende die Braut im Stich. Er folgt der Sylphide in den Wald. Die Hexenprophezeiung erfüllt sich, der zunächst abgewiesene Bursche Gurn bekommt die vielumworbene Braut, James tötet das Zauberwesen mit seinem Besitzanspruch und stirbt am tödlichen Fluch der Hexe.

Das ist eine wunderbare Story aus dem erotischen Märchenwald und nur der Tanz scheint die angemessenen Mittel des Ausdrucks zu besitzen, Verzauberung und Verwirrung, Traum und Wirklichkeit, den Widerschein des Unbegreiflichen Assoziationen und Bilder zu geben. Mit der Sylphide betritt die Spitzentänzerin die Tanzbühne, sie trägt das lange weiße Gewand aus Tüll und Spitzen, sie schwebt und wandelt zwischen Diesseits und Jenseits, Hindernisse gibt es nicht. Ihr weißes Traum- und Schattenreich ist nicht von dieser Welt und ist doch mitten darin, nur ist es nicht jedem gegeben sie zu sehen. Wer sie aber sieht, wie James schon festlich in der Nationaltracht, dem Kilt, für die Hochzeit gerüstet, verlässt Vater und Mutter, Bruder und Schwester, die Braut und den Freund. Das alles hat August Bournonville vor fast 175 Jahren genial in eine Choreografie gefügt, die einen ersten ausgesprochen farbigen Teil hat und einen zweiten, der den weißen Wesen vorbehalten ist. Beide Welten sollten in der Waage bleiben, vom Gleichgewicht versteht der Tanz ohnehin sehr viel, vom Gleichgewicht der Welt und des Lebens auch nicht gerade wenig, wie man an diesem Stück sehen und fühlen kann.

Hermann Loevenskjolds Musik mit ihrem schottischen Volkskolorit und dem zarten Märchenklang ist zweckmäßig und doch ein bisschen mehr, zumal wenn sie so aufmerksam gespielt wird wie vom Orchester des Prager Nationaltheaters unter der Leitung von Sergej Poluektov. Die Prager Tänzerinnen und Tänzer, als bunte und temperamentvolle Hochzeitsgesellschaft oder die Damen im weißen Sylphidenbild tanzen wahrhaft ansehnlich und beherrschen den flinken Stil des Dänen, die vertrackten Schrittfolgen, den Aberwitz der Geschwindigkeit in den Sprungfiguren mit den aneinander geschlagenen Füßen, als gelte es wirklich länger als menschenmöglich, in der Luft zu verharren. Adéla Pollertová ist die berührende Sylphide von gewinnender Ausstrahlung, von leichter Wirkung in den Passager voller technischer Raffinesse. Geschmack und Maß in der Pantomime. Das gilt auch für Alexander Katsapov in der Partie des James, der mit atemberaubender Beinarbeit fasziniert, dabei einen modernen romantischen Typ verkörpert und in der Glaubwürdigkeit seiner Verwirrung in jedem Moment überzeugt. Zum Abschluss, nach dem tragischen Ausgang von „La Sylphide“, als rauschendes Finale, gewissermaßen die ultimative „Bournonville-Show“, volle Bühne, voll in Farbe und vor allem voller Überfluss an tänzerischen Effekten. „Napoli“ gilt als Meisterwerk des Choreografen, von den Spielplänen ist es so gut wie verschwunden, man muss wohl nach Kopenhagen fahren um das ganze Stück zu sehen.

In Prag, wie inzwischen üblich, als „Zugabe“, als „Satyrspiel“, der dritte Akt, und auch dieser ohne alle Motive der Handlung, als das große Freudenfest nach den Wirrungen um eine schöne Braut, einen Fischer, ein Unglück und eine wunderbare Errettung. Und dieses Wunder weiß man in Neapel zu feiern und zu tanzen. Das gibt für Bournonville den Anlass, ein Feuerwerk an Abfolgen temporischer Tänze für Paare, Solisten, zu dritt, zu viert, zu sechst oder im ganzen Corps de ballet mit allen Eleven und Schülern, Kindern und älteren Tänzern in Charaktersequenzen zu entwickeln. Ein Divertissement jagt das andere, ein Tänzer übertrifft den vorigen, die gute Laune macht Freudensprünge, das Publikum bedankt sich herzlich für einen solchen Nachmittag voller beschwingter Höhenflüge.

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