Prätentiöses Kunstgewerbe

Padmini Chettur mit "Beautiful Thing 1" auf Kampnagel

Hamburg, 12/10/2009

Als „Appetizer zur India Week“, die vom 23.10. bis zum 1.11. in Hamburg stattfindet, wird „Beautiful Thing 1“ angekündigt. Sechs Tänzerinnen exerzieren auf Kampnagel mit stoischer Konzentration und unbewegter Miene die Choreografie der 39-jährigen Padmini Chettur (sie selbst agiert mit) wie ein hohes Ritual. Alle bis auf eine haben eine Ausbildung im klassischen, in Südindien angesiedelten Bharatanatyam. Der Einfluss dieser Tanzform auf die Arbeit Chetturs sind vermutlich die Gesten mit genau definierten Finger- und Handhaltungen, wie sie gegen Ende von den am Bühnenrande aufgereihten Frauen gezeigt werden, und das Stilmittel barfüssig auf flacher Sohle ausgeführter Schritte. Der flexible Torso und die Körperglieder bewegen sich quasi in sich und aus sich heraus, ohne raumgreifende Schritte oder gar Sprünge. Chetturs begrenztes, immer wieder repetiertes Material umfasst hochgezogene Schultern, einen lang ausgestreckten Arm, der einen seitlichen Halbkreis beschreibt, eine Art Contraction im Bauchbereich, flexible Hüfte, Beine, die über gegensätzliches Eindrehen den Impuls zur Körperdrehung auslösen. Oft wird dadurch eine schiefe Haltung hervorgerufen, mehr ugly als beautiful. Das Tempo ist gemessen, auch mal in Zeitlupe, selten beschleunigt.

Dazu gesellt sich der Text (Vivek Narayanan), manchmal synchron eine Bewegung auslösend (wie „right shoulder“ – „head“), manchmal eine eigenständige Spur verfolgend. Gesprochen wird über Mikroport, ein irritierender Fremdkörper am Kopf. Außerdem geben die Frauen preis, was sie gern haben: „I like my left hip“ – „I like the Beatles“, usw. Später erweitert sich das zu einer im Wechsel vorgetragenen Wörterkaskade, kaum mehr verständlich, eingeschmuggelt auch obszöne Ausdrücke wie cunt, was im westlichen Tanztheater längst zum oft abgenutzten Repertoire gehört. Die Musik Maarten Vissers unterfüttert den Ablauf mit perkussiven Tönen: Klopfen, Schlagen, Reiben, Knacken in festen Takten oder freien Formen bis zu tiefsten Vibrationen…

Chetturs „Beautiful Thing 1“ wird vorgetragen wie ein feierliches Ritual mit oft meditativem Charakter, allerdings kaum je mit Suggestivkraft. Die exotische Aura geht ihr völlig ab, sieht man einmal ab von den schönen Gesichtern der indischen Tänzerinnen. Deren Kostüme sind nicht farbenprächtig und reich geschmückt wie im originalen Bharatanatyam, sondern schmucklose, einfarbige Hänger, die mit einem Faltenrand knapp bis zur Mitte des Oberschenkels der nackten Beine reichen. Meist im Raum verstreut, absolvieren die Frauen ihre Abfolgen meist für sich, seltener synchron. Überzeugend gestaltet scheint mir nur ein einziger Teil, in dem sich eine allmähliche Verdichtung von auseinander gezogener Verteilung zur kompakten Gruppe vollzieht. Eine Tänzerin fasst eine andere am Kopf, zieht sie mit sich, drückt den Kopf in sanfter Manipulation in die Neige oder Drehung. Eine dritte schiebt sich eine Handfläche unter ihr Kinn, presst den Kopf hoch, dreht ihn zur Seite, Hand vor dem Mund. Schließlich streifen sich die Sechs dünne, langärmelige Pullover über, die auf einem Lichtstreifen vorn ausgebreitet sind. Sie dienen als Material zum Ziehen und Dehnen. Nach etwa 50 Minuten langatmiger Wiederholungen setzt ein gedehntes Finale mit Lichtabnahme, -zunahme und allmählichem Verlöschen ein, während alle Tänzerinnen diagonal am Boden auf dem Bauch liegen, mit dem Kopf abgewandt vom Publikum, und ihre Arme und Beine spreizen. Ende. Bis auf eine, auf deren Gesicht sich ein Schmunzeln ausbreitet, behalten die Ensemblemitglieder auch beim Entgegennehmen des Beifalls ihre in Beton gegossenen Gesichter. Mir stieß der Appetizer sauer auf als lediglich prätentiöses Kunstgewerbe, das vom indischen Bharatanatyam-Hintergrund nichts Wesentliches ins Moderne überträgt.

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