Oedipus tanzt

Marco Santi minimiert in seinem neuen Tanzstück den Tanz und bringt interessante Aspekte des Dramas zum Vorschein

Osnabrück, 17/02/2009

Mord und Inzest, Sex und Gewalt. Die Geschichte von Oedipus beinhaltet alle Themen, die das sensationslüsterne Publikum auch heute noch lockt. Der Choreograf Marco Santi interessiert sich jedoch nicht in erster Linie für den blutrünstigen und dramatischen Stoff, sondern für dessen unterschiedliche Bearbeitungen. In Workshops mit seinen Ensemblemitgliedern setzte er sich sowohl mit den Texten der griechischen Dramatiker, wie auch mit Interpretationen in neuzeitlichen Filmen auseinander. Bestimmte Aspekte wurden dabei herausgegriffen und für die Bühne des Osnabrücker Theaters in eine neue Version verarbeitet.

Das Ergebnis hat nur noch wenig mit Tanz zu tun und ist im Wesentlichen die Wiedergabe der bekannten Geschichte in chronologischer Reihenfolge. Oedipus wird von den leiblichen Eltern verstoßen, wächst ohne dies zu wissen bei Zieheltern auf, bis ihm das Orakel prophezeit, dass er seinen Vater töten und die eigene Mutter ehelichen wird. Um diesem Schicksal zu entgehen flieht er, trifft dabei auf seinen leiblichen Vater, den er im Streit erschlägt. Er löst das Rätsel der Sphinx und wird daraufhin König der Stadt Theben. In dieser Position ersetzt er seinen Vater und heiratet seine Mutter Iokaste. Als eine Pest über sie Stadt kommt, will Oedipus vom Seher Teiresias den Schuldigen benannt wissen und erfährt von ihm, dass sich sein Orakelspruch bereits erfüllt hat. Oedipus blendet sich selbst und irrt bis an sein Lebensende blind durch die Wälder. All diese Lebensstationen hat Marco Santi in einzelne Szenen zusammengefasst und aneinandergereiht. Unterstützt von Videoinstallationen und der Komposition von Roderik Vanderstaeten. Dabei sind die einzelnen Szenen interessant gestaltet, besonders die Umsetzung des Orakels oder der Sphinx sind originell. Den Seher Teiresias (Paul Weisemann/Uwe Kramer) mit einer Sprecherrolle zu besetzten erweist sich ebenfalls als klug.

Letztendlich hat man jedoch oft das Gefühl, dass die einzelnen Teile des Stücks nicht recht zusammenpassen wollen wie Puzzleteile, die sich nicht ineinander fügen lassen. So gibt es zu Beginn eine unterhaltsame „Familiensituation“, in der auf einer Art Spielwiese in schneeweißen Kleidern Federball, Baseball oder Frisbee gespielt wird. Dazu werden Witze erzählt und aus einem Grammophon klingt Musik. Oedipus erweist sich als Störenfried, der wiederholt das vergnügte Spiel unterbricht. Eine schön konstruierte Szene, die aber nicht zum Rest des Stücks passen will.

Der überwiegende Teil des Stücks spielt sich auf, in und vor einer übergroßen Kiste mit dem Aufdruck „fragile“ ab. Immer wieder klappen verschiedene Öffnungen der Kiste auf. Zwischen den drei Ebenen klettern, springen und tanzen die Figuren umher. Akrobatische Einlagen finden sich auch in der Kampfszene, in der Oedipus auf seinen Vater und dessen Gefolgsleute trifft und mit ihnen kämpft. Dabei ist es zwar interessant die Kombination aus tänzerischen und Kampfelementen anzusehen, eine wirkliche Motivation für die Auseinandersetzung zwischen den Figuren ist aber nicht spürbar. Die Figur des Oedipus (Alberto Franceschini) agiert allgemein selten aus einer erkennbaren Motivation oder Emotion heraus. Dabei beginnt das Stück mit einer starken Anfangszene, die sich intensiv mit verschiedenen und auch widersprüchlichen Emotionen auseinandersetzt. Auf dem Dach des Turms gebiert Laios seinen Sohn Oedipus aus seinem Trenchcoat. Im gemeinsamen Spiel der Körper gelingt es den Vater-Sohn-Konflikt eindrucksvoll mit Bewegung darzustellen. Laios ist hin und hergerissen zwischen Zärtlichkeit und Aggression. So wiegt er Oedipus in seinem Armen, um ihn kurz darauf brutal zu Boden zu werfen. Das aggressive Verhalten lebt er auch gegenüber Iokaste aus. Er betatscht und begrapscht sie auf äußerst abfällige Art und Weise. Im Kontrast dazu steht ein Pärchen am Fuße des Turms. Sie rollen sich zärtlich übereinander, halten sich in den Armen und küssen sich. Insgesamt ist das ganze Stück äußerst sexuell aufgeladen. Ständig wird verführt, vergewaltigt oder gebalzt. Irgendwie sind immer alle dauergeil, doch erschließt sich der Grund dafür leider nicht. Die tänzerischen dominanten Bewegungselemente beschränken sich dann meist auch auf den Boden. Es wird gekraucht und gerobbt.

Am Ende findet sich dann doch noch eine bildgewaltige Tanzszene. Iokaste steht auf der obersten Ebene des Turms in einem rotleuchtenden Kleid. Unten irrt ein schwarzgekleideter Oedipus verzweifelt umher und wird von einer Art weißgekleidetem Engel mit wehendem Mantel umtanzt. Sie spielt für ihn eine Klagemelodie auf der Violine bis er zu Boden geht. Am Ende schwingt sie sich auf die mittlere Ebene des Turms und scheint von dort über ihn zu wachen. So steht am Ende der Geschichte ein beinahe versöhnliches Bild. Eine wirkliche Katharsis mochte sich bei Marco Santis neuem Stück nicht recht einstellen, doch zeigt seine Arbeit einen kreativen Output und interessante Ansätze zu dem bekannten Drama Oedipus.

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