Nun also auch die Schweiz

Heinz Spoerli erhält den Deutschen Tanzpreis 2009

oe
Essen, 22/03/2009

Die Schweiz hielt sich halt immer schon für etwas Besonders. So offenbar auch in Sachen Ballett. Und so schickte es erst einmal einen Späher ins Ballettwunderland jenseits des Rheins, den mit einem nachtwandlerischen tänzerischen Instinkt begabten Philippe Braunschweig, Inspirator des inzwischen weltweit renommierten Tänzerwettbewerbs von Lausanne, um zu erkunden, was es denn mit dem deutschen „Ballettwunder“ auf sich habe. Und der kam mit einem positiven Ergebnis zurück. Das war vor zwölf Jahren. Und nun also, ein Dutzend Jahre später, schien die Zeit reif, die Schweiz in den erlauchten Kreis des deutschen Tanzpreises aufzunehmen. Und so erkoren die Weisen von Essen Heinz Spoerli, gebürtig aus Basel, Ballettdirektor und Chefchoreograf am Zürcher Opernhaus, zum Preisträger des Jahrgangs 2009. Ist nichts mehr mit den Schweizer Geheimnissen. Erst müssen die Banker klein beigeben, und nun ist also das Schweizer Ballettgeheimnis auch nicht mehr das, was es einmal war! Und erkor damit nicht nur einen, sondern DEN Ballettwürdigsten, den die Schweiz unter den Nachfolgern Wilhelm Tells hervorgebracht hat – dessen Name heute zuerst genannt wird, wo immer in der Welt vom Schweizer Ballett die Rede ist, nicht nur zwischen Zürichsee und dem Tessin, sondern auch in Berlin, Paris, Mailand, Wien, Peking, Hongkong und Taipeh und demnächst wohl auch in Dubai.

Und Zürich war mit großer Equipe angereist und präsentierte ein über vierstündiges Programm im schönen Aalto-Theater, bei dem ausnahmsweise die diversen Begrüßungsreden der kürzeste Teil waren – die knappste und treffendste von Martin Schläpfer, Spoerlis Mann der ersten Basler Stunde und inzwischen als sein Kollege Ballettchef in Mainz und sehnlichst erwarteter Herr über das Rheinopernballett von Düsseldorf und Duisburg, worauf sich ganz Nordrhein-Westfalen freut. Dabei hatte das Programm eine wesentliche Änderung erfahren. Denn außer Spoerli wurde an diesem Abend auch Marijn Rademaker geehrt – als Auserkorener des Deutschen Tanzpreises „Zukunft 2009“.

Rademaker ist Erster Solist beim Stuttgarter Ballett, als Holländer der erste nach Lucas Hoving (dem berühmten Jago in José Limóns „The Moor‘s Pavane“) von Weltgeltung. Er hatte in Spoerlis jüngster Inszenierung von „Peer Gynt“ in Zürich für Furore gesorgt – und geplant war, ihn im ersten Akt dieses Abendfüllers mit dem kompletten Zürcher Ballett in Essen zu präsentieren. Doch Rademaker hatte sich verletzt und konnte nicht auftreten, und so mussten wir uns mit einem Filmzusammenschnitt seiner besten Rollen begnügen. Der allerdings den ganz und gar erstaunlichen Radius dieses Ausnahmetänzers dokumentierte: von Cranko über Balanchine, Tetley, Neumeier, Goecke bis zu den Klassikern. Tatsächlich ist es ja so, dass die Holländer ihre ehemalige Rolle als Weltkolonisatoren abgegeben haben an die Choreografen und Tänzer von van Manen und van Dantzig über Lightfoot und Léon, Wubbe und Nils Christe bis eben zu Rademaker.

Und so gab es statt des brillanten „Peer Gynt“ – sicher eins der Meisterwerke des Spoerlischen Oeuvres in Essen ein Sammelsurium kürzerer Spoerli-Piecen, darunter immerhin ein paar Bach-Uraufführungen sowie von Brahms und Skrjabin bis zu Philip Glass – wobei die „Débauches du rêve“ als Ku-Klux-Klan-Orgie in einer Eiskonditorei in Stonehenge demonstrierten, dass auch Zürich nicht gegen gelegentliche Entgleisungen ins Kitschige gefeit ist. Im Übrigen präsentierte sich das Zürcher Ballett in Essen durchaus von seiner Schokoladenseite – und die hat nach wie vor Sprüngli-Qualität. Die von dem aus der halben Welt zugereisten Publikum ausdauernd akklamiert wurde (wie übrigens auch die Laudatio von Christian Spuck auf seinen Stuttgarter Kollegen Rademaker). Als gälte es zu beweisen, dass Essen, wie von den lokalen Kulturmatadoren beharrlich behauptet wird, nach wie vor Tanzhauptstadt ist (fragt sich nur, wovon).

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