Ästhetische Knochenbrüche

„(Making of) District“ von Hyoung-Min Kim & Lena Soon Hee Meierkord, Berlin

Bremen, 29/05/2009

von Jaisha Laduch

Vor pastellfarbenen Stellwänden werden Bahnen aus frischem Gras ausgerollt. Die beiden koreanischen Tänzerinnen Hyoung-Min Kim und Lena Soon Hee Meierkord gestalten gemeinsam einen kleinen Bereich auf der Bühne, der sich vom Rest des Geschehens abgrenzt. Im Rahmen des Tanzfestivals XtraFrei zeigen die beiden Tänzerinnen ihr selbst choreografiertes Stück „(Making of) District“ in der Bremer Schwankhalle. Der Sound stammt von Alessio Castellacci.

Während eine der Tänzerinnen mit katzenhaften Bewegungen über den Boden schleicht und das Gras inspiziert, verlässt die andere den eingegrenzten Bühnenbereich, um kurz darauf mit zwei Sack Kartoffeln auf dem Kopf zurückzukehren. Wäre nicht diese Geräuschkulisse aus murmelnden Geräuschen und hohem Fiepsen, könnte man der ganzen Situation sogar etwas Amüsantes unterstellen. Doch über dem Geschehen lauert eine noch nicht greifbare Bedrohung.

Beide Tänzerinnen sind hübsch zurechtgemacht und tragen elegante Absatzschuhe. Fast neidisch könnte man die sehnigen Körper betrachten – wäre nicht diese kaum ertragbare Spannung, die die beiden Frauen während des gesamten Stückes nicht verlassen wird. Soon Hee Meierkord trägt einen Berg roter Girlanden oder Stoff auf den Rasen, legt den Haufen in die Ecke, und bald wird erkennbar: Das ist kein Stoff, das ist rohes Fleisch und davon nicht zu wenig. Fasst genüsslich, aber zugleich apathisch beginnt eine der beiden, das Fleisch zu zerkleinern, zunächst mit einem größeren Messer, danach mit den bloßen Händen. Knochen knacken. Ein Raunen geht durch das Publikum. Auf der Bühne präsentiert sich eine starke Ambivalenz zwischen rohem Knochenbruch und der Schönheit einer Geisha.

Der Moment der Gewalt liegt über dem Geschehen. Immer wieder steigert sich die musikalische Untermalung in einen Strudel aus Blubbern, Würgern, Summen und koreanischen Gesprächsfetzen. Hyoung-Min Kim im dunklen Kostüm liegt nun wie eine gefesselte Meerjungfrau auf dem Rasen; das porzellanhafte Gesicht bekommt eine erdige Färbung. Die Hände sind eng an ihren Körper gepresst, und sie wimmert, erst leise, dann immer lauter; stöhnend und wankend bewegt sie sich vor und zurück. Zu gerne möchte man mit ihr der Situation entfliehen. Die tänzerischen Elemente der beiden Darstellerinnen sind klein gehalten und zum Teil nur in Ansätzen erkennbar. Fast absurd wirkt das Sieges-Gebrüll, das vom anderen Rasenplatz in Bremen herübertönt. War das ein Tor für Werder? Höhepunkt des Stückes ist, als Kim aufsteht und zu klagen beginnt, erst leise, dennoch (knochenmarks)erschütternd. Wie in Trance schreit sie immer lauter, ein Sog tut sich auf, sie schüttelt sich, und Geräusche und eine Energie entweichen ihrem zarten Körper, von denen man nicht angenommen hätte, dass sie dort zu Hause sein könnten. Absurder wird die Situation, als sie sich ihre Bluse herunterreißt und dem Publikum ihren schneeweißen Rücken hinhält. Sie greift nach den rohen, dunklen Fleischbrocken und schlägt sich damit auf den Rücken, als wolle sie sich geißeln.

Gänsehaut macht sich im Publikum breit. Was denkt wohl die ältere Frau in Reihe drei, die von ihrer Tochter oder Enkelin gestützt wurde, um auf ihren Platz zu gelangen? Endlich mal wieder einen Tanztheaterabend, nur wir zwei, und jetzt das. Und jetzt was? Diese Gedanken verschwinden nicht. Was soll das Stück sagen? Es transportiert starke Bilder und Momente der Gewalt. Waren wir nicht durch die täglichen Morde im TV und Kino längst abgehärtet; wieso schockt ein Fleischbrocken in der Hand dieser zarten Schönheit so sehr? Es fällt schwer, während des gesamten Stückes Abstand zu halten. Ein Mädchen in der ersten Reihe weint. Es gibt keinen Filter, keinen Puffer. Ton und Bild und vor allem Gefühl erwischen einen eiskalt.

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