Kampfbereit auf der Liebe Wellen

Marcia Haydée zwingt für das Königliche Ballett von Flandern in "Het Zwanenmeer" das Böse in die Knie

Stuttgart, 26/01/2009

Ende gut. Alles gut? Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Am Schluss schließen sich beim Königlichen Ballett von Flandern zwar die Schwäne um Rotbart zu einem undurchdringlichen Ring, aber sein Bann scheint deswegen keineswegs gebrochen. Schwäne sind es, die den Magier schnäbelnd niedermachen, tippelnd triumphieren sie in tierischer Gestalt. Die ersehnte Erlösung, das heißt die Rückverwandlung in menschliche Gestalt, lässt auf sich warten.

Insofern bringt der „Schwanensee“ von Márcia Haydée, als „Het Zwanenmeer“ in der Stadsschouwburg in Antwerpen vorgestellt, nichts Neues. Und auch das „Rosen-Wunder“, wie vor ein paar Jahren mit „Dornröschen“ nach Stuttgarter Vorbild (aber mit anderer Ausstattung) inszeniert, lässt sich mit einem anderen Werk nicht so ohne weiteres wiederholen. Eine „Wereldpremière“ verlangt eine andere Investition, von der ist man in Belgien aus den verschiedensten Gründen noch weit entfernt.

Was nicht heißt, dass die Produktion nicht praktikabel ist. So wie sie beim durchweg begeisterten Publikum ankommt, kann das Koninklijk Ballet mit ihr gut leben, und Gedankenlosigkeit wird wohl niemand Marcia Haydée zum Vorwurf machen. Die ehemalige Direktorin des Stuttgarter Balletts hat mit ihrem „Schwanensee“ vielmehr versucht, die klassische Tradition des choreografischen Meisterwerks zu achten, und sich gleichzeitig darum bemüht, sie zeitgenössischer erscheinen zu lassen. Was vor allem der Rolle Rotbarts zugute kommt. Das verkörperte Böse steht zwar nicht so unübersehbar im Vordergrund des Geschehens wie noch in ihrem Stuttgarter „Dornröschen“, aber bereits im Prolog zieht der Zauberer an seinen unsichtbaren Fäden. Halb Mensch, halb Tier hat Alain Honorez etwas von einem Zwitterwesen, und wenn er nicht nur über beide Ohren so grün wäre, könnte man ihn gut für einen entfernten Verwandten von Spiderman halten. Doch Rotbart ist alles andere als ein Frosch. Mit den Schultern rollend, den Kopf vorgestreckt wie ein Raubvogel, ähnelt er eher jemanden, der sich seine Opfer herauspickt aus der Menge. Wehe dem, der in seine Nähe gerät: Er hat nicht die geringste Chance.

Und Prinz Siegfried scheint anfangs alles andere als eine Kämpfernatur. Traumverloren entsteigt Wim Vanlessen im ersten Akt kaum wie ein künftiger Bayernkönig seinem Kahn. Wenn ihm die Dörfler zum Geburtstag nicht eine Armbrust verehrten, wüsste er nie, was eine Waffe ist. So einen wie ihn muss man zum Jagen tragen, deshalb wundert es, dass die Königsmutter (Eva Dewaele mit sternenübersähter Sissi-Frisur) im dritten Akt eine Brautschau arrangiert: Der junge Mann ist nicht fürs Heiraten. Umso überraschender, dass er dann doch Odette bzw. Odile ewige Treue schwört. Aki Saito verkörpert beide, und vor allem dritten Akt verdreht sie ihm mit ihren furiosen Fouettés so den Kopf, dass er nicht mehr zwischen ihnen unterscheiden kann. Marcia Haydée hat mit Hilfe von Albena Dobreva Tschaikowskys Musik so gekürzt, dass ihm keine große Zeit zur Besinnung bleibt. Pausenlos geht es in den vierten Akt, und während sich die Sofitten heben und senken, zwingt ihn der Zauberer in einem eingelegten Pas de deux so in die Knie, dass er ohne die tatkräftige Mithilfe eines 18-köpfigen Frauen-Corps wohl endgültig an den Magier verloren wäre. Sie sind es, die am Schluss nicht einfach auf des Meeres und der Liebe Wellen schwimmen, sondern ihre Arme kampfbereit wie schlanke Schwanenhälse strecken.

Ende gut. Alles gut? Das wohl nicht. Das Koninklijk Ballet van Vlaanderen und seine künstlerische Direktorin Kathryn Bennetts haben zwar einen „Schwanensee“, der dem Ensemble, vor allem Aki Saito, Wim Vanlessen und Alain Honorez zu achtbaren, überaus attraktiven Auftritten verhilft – und zu einem Beweis, dass sie nicht nur Stücke wie „Impressing the Czar“ von William Forsythe oder „The Return of Ulysses“ von Christian Spuck schaffen, sondern sich auch von der Klassik ganz schön herausfordern lassen. Doch „Het Zwanenmeer“ von Marcia Haydée gleich in einem Atemzug mit Aufführungen eines John Cranko, Rudolf Nurejew, Mats Ek oder Matthew Bourne zu nennen, wie es im Programmheft geschieht, scheint denn doch etwas verfrüht. Da muss schon noch mehr Gedankenarbeit in den „Schwanensee“ einfließen, bis er alles überwältigend endlich über seine Ufer tritt.

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