Fröhliches Landleben im Herzen von Paris

Wiederaufnahme von Frederick Ashtons „La Fille mal gardée“ im Palais Garnier

Paris, 11/07/2009

Zweihundertzwanzig Jahre ist es nun her, dass Jean Daubervals “Le Ballet de la paille ou Il n’est qu’un pas du mal au bien” in Bordeaux uraufgeführt wurde, wenige Tage vor dem Sturm auf die Bastille im Jahr 1789. In Sir Frederick Ashtons Version unter dem Titel “La Fille mal gardée” aus dem Jahr 1960 erfreut sich das Ballett über die Bauerntochter Lise, die trotz der Wachsamkeit ihrer Mutter bei der Wahl ihres Ehemanns dem Herzen statt dem Geld folgt, bis heute auf den Bühnen der Welt von Karlsruhe bis London unverminderter Beliebtheit. Seit zwei Jahren ist diese Fassung zur Musik von Ferdinand Herold (arrangiert von John Lanchbery) nun auch im Palais Garnier zu sehen, und auch diesmal gab es vor allem junge Tänzer in neuen Besetzungen zu sehen.

Neu in dieser Serie waren beispielsweise Muriel Zusperreguy und Josua Hoffalt in den Hauptrollen: ein frisches und natürliches Paar, das eher Daubervals Idee von einfachen Menschen, die statt Adligen, Göttern und Helden die Ballettbühne erobern entspricht, als in Ashtons augenzwinkernde, liebevoll-ironische Halb-Parodie des Landlebens zu passen. Vor allem Hoffalt, aufgrund eines Sturzes beim letzten Concours noch Halbsolist, tanzt dabei mit der Souveränität eines Eroberers, der sich seines Erfolges sicher ist und zeigt Fouettés, Entrelacés und Grand Jetés auf Etoileniveau. Gewollt komischere Züge verleihen in einer weiteren Besetzung Mathilde Froustey und Emmanuel Thibault (letzterer ebenfalls erstmals als Colas zu sehen) ihren Charakteren: sie verdrehen die Augen, gestikulieren, grimassieren und tanzen dabei mit höchster Raffinesse. Nichts Bäuerliches kann man an der grazilen Froustey finden, die bei den Läufen auf Spitze ihre Füße mühelos in die Höhe wirft, und auch Emmanuel Thibault kann man sich schlecht in einem Stall vorstellen – es wäre auch schade um seine rosa geblümte Weste und die senfgelbe Hose, an der er bis zu seiner Hochzeit ebenso hartnäckig festhält wie der reiche Bauernsohn Alain an seinem Regenschirm. Letzterer, reicht in der Interpretation von Allister Madin nicht an den urkomischen, sowohl ernsten als auch grotesken, sowohl unbedarften als auch tragischen Simone Valastro der Premiere heran, unter anderem aufgrund seines inkohärenten Spiels. Der Star dieses Abends ist somit unbestritten Michael Denard als Mutter Simone. Anders als einige Kollegen, die die resolute Witwe als wild gestikulierende drag queen tanzen, hat Denard, früherer Startänzer mit substanzieller Theatererfahrung, die Rolle so verstanden, wie sie ursprünglich gedacht war: humorvoll, aber nicht durchgehend grotesk, weiblich, aber mit maskuliner Bestimmtheit. Seine Simone ist im Grunde eine liebende Mutter, die das Herz am rechten Fleck hat, aber die die Eskapaden ihrer Tochter bis zum Schluss nicht richtig ernst nimmt. Denards Mimik ist so reich und natürlich, dass sie allzu oft die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers in Anspruch nimmt, um die die gewollt aufdringlichen Kostüme, das Bühnenbild (Osbert Lancaster), das bewegte Corps de Ballet sowie zahlreiche Accessoires vom Maibaum bis zum Portrait eines Hammels im Haus der Witwe Simone ringen.

Weitere Besetzungen vereinten Mathias Heymann sowohl mit Myriam Ould-Braham als auch mit Dorothée Gilbert als Lise. Beide schlecht behüteten Töchter eignen sich vom Typus ideal für die Rolle und tanzen auf höchstem Niveau. Heymann, zuletzt ernannter Danseur Etoile, hat seit der Erstaufführung bedeutende Fortschritte gemacht und fast jede Unsicherheit ist inzwischen aus Tanz und Spiel verschwunden. Seine technischen Höchstleistungen sind nie Selbstzweck, sondern scheinen in ihrer natürlichen Eleganz der spitzbübischen Lebensfreude der Figur zu entspringen. Bei solcher Interpretation kann man nicht ausschließen, dass das Stück – trotz der allzu simplen Handlung – noch weitere zweihundertzwanzig Jahre im Repertoire bleiben wird.

Vorstellungen bis zum 15. Juli 2009. Paris, Palais Garnier www.operadeparis.fr

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