Ein Wunder-voller Nachmittag

Rollendebuts in „Kameliendame“

Hamburg, 25/05/2009

Es muss schon etwas Besonderes los sein in der Hamburgischen Staatsoper, wenn das Haus an einem strahlend schönen Frühsommer-Samstagnachmittag komplett ausverkauft ist. Im abgedunkelten Zuschauerraum zu sitzen anstatt an der Alster in der Sonne – das muss sich lohnen. Und so war es auch: Es gab die 196. Vorstellung der „Kameliendame“ seit der Hamburger Premiere im Februar 1981 (die Uraufführung war im November 1978 in Stuttgart), eines der schönsten Ballette, die der Hamburger Ballettintendant je choreografiert hat – und noch immer ist dieses Stück ein Publikumsmagnet. An diesem Samstag ganz besonders, denn es gab Rollendebuts, die bisher nur im Frühjahr in Japan auf dem Gastspiel der Kompanie bestaunt werden konnten: Silvia Azzoni in der Titelrolle und Thiago Bordin als Armand.

Obwohl von der Statur her vergleichsweise klein für diese Rolle, wächst Azzoni als Marguerite zu einsamer Größe: wie sie von der spielerisch-koketten Kokotte zur zutiefst liebenden Frau reift, wie sie in Manon Lescaut (und darin endlich mal richtig gut: Carolina Agüero) ihr Spiegelbild erkennt, wie sie mit sich kämpft, als Armands Vater (Dario Franconi, der sich in diese darstellerisch anspruchsvolle Rolle noch mehr hineinfühlen muss und kann) ihr den Verzicht auf den Geliebten abverlangt, und wie sie so zu Herzen gehend leidet, weil Armand ja nicht weiß, warum sie ihn wieder abserviert hat – das ist sowohl darstellerisch wie tänzerisch kaum noch zu übertreffen. Marcia Haydée, legendär in dieser Rolle, hat in den 80er Jahren die Latte für die schauspielerische Leistung sehr, sehr hoch gelegt – Silvia Azzoni überspringt sie mühelos. Alessandra Ferri, Étoile der Mailänder Scala machte – bei ebenfalls überwältigender Darstellungskunst – in Hamburg bei ihrer Abschiedsvorstellung vor zwei Jahren transparent, wie viele technische Finessen diese Rolle zu bieten hat – Silvia Azzoni ist ihr darin mehr als ebenbürtig. Ihre Marguerite lässt einfach keine Wünsche mehr offen.

Phänomenal auch Thiago Bordin als Armand: technisch schlafwandlerisch sicher und mit blitzsauberen Pirouetten, bildhübsch, ein stürmischer jugendlicher Liebhaber, der aber durchaus auch die seelischen Tiefen auszuloten vermag, die die Rolle ihm abverlangt. Vielleicht fehlt ihm noch ein kleines Quentchen Souveränität – aber die kommt, wenn er den Part noch ein öfter tanzen wird. Mariana Zanotto, die sich nach der Marie in „Nussknacker“ nun endgültig als Solistin empfiehlt, gab ihr Rollendebut als Olympia – mit der Armand an Marguerite Rache zu nehmen versucht, was ihm dann aber doch nicht gelingt, weil er sich der Oberflächlichkeit und Leere dieser gekauften Liebe bewusst wird. Sie kann diesem durchtriebenen Flittchen jedoch gern noch ein bisschen mehr die Sporen geben, das darf noch mehr gurren und flirren und zündeln. Die Überraschung des Nachmittags jedoch erklang aus dem Orchestergraben. Hier war Wolfgang Manz, erfahrener „Kameliendame“-Pianist für das Bayerische Staatsballett in München, kurzfristig für den erkrankten und in Hamburg noch unbekannten Michal Bialk eingesprungen – und zeigte endlich einmal, wie viele Klangfarben und -schattierungen diese Chopin-Stücke in sich haben. Das ist außer ihm in Hamburg bisher erst Roberto Cominati gelungen – ihn hatte sich Alessandra Ferri eigens für die Vorstellung im Rahmen der Balletttage gewünscht, und wer je gehört hat, wie dieser Part in Hamburg früher mehr gehämmert als gespielt wurde, versteht, warum. Wenn man zudem weiß, dass Orchester (mit Esprit und gut gelaunt: die Hamburger Symphoniker), Pianist und Ballett diese Vorstellung ohne eine einzige gemeinsame Probe absolviert haben, dann erst wird deutlich, wie groß die Professionalität auf allen Seiten sein muss, damit alles derart fantastisch gelingt. André Presser am Pult hielt die musikalischen Fäden dabei wie immer souverän und sicher zusammen.

Kurzum: Diese Besetzung lässt keine Wünsche offen. Wer die Gelegenheit hat, die „Kameliendame“ in dieser Kombination zu sehen: nichts wie hin!

Weitere Vorstellungen am 3. Juni (mit Joëlle Boulogne und Alexandre Riabko in den Hauptrollen) und 4. Juni (mit Silvia Azzoni und Thiago Bordin) sowie am 1. Juli.

www.hamburgballett.de

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