Ein Dichter tanzt zwischen Leben und Tod

Vladimir Malakhov als Percy Shelley: Patrice Barts umjubeltes, aber blasses Ballett „Das flammende Herz“ in Berlin

Berlin, 22/06/2009

Für seine Zeitgenossen hatte Percy Bysshe Shelley etwas von einem Apoll – in Patrice Barts zweiaktigem Ballett „Das flammende Herz“, das am Samstag an der Staatsoper unter den Linden uraufgeführt wurde, begleiten ihn deshalb auch vier Frauen, die das Programmheft nicht zufällig seine Musen nennt. Shelley, einer der bedeutendsten Poeten der englischen Romantik, war zwar erklärtermaßen von der „Notwendigkeit des Atheismus“ überzeugt. Diese frühe Einsicht hinderte ihn indes keineswegs daran, sich gottgleich über bürgerliche Konventionen hinwegzusetzen. Abgesichert durch eine Erbschaft, fühlte er sich frei genug, seine Liebe so zu leben, dass sie sich zur reinsten Poesie läuterte.

„Vielleicht hätte er“, schrieb schon Wolfgang Koeppen über Shelley, auch „sein Glück erjagt, wenn er wie eine Äolsharfe die schöne und mächtige Stimme des Windes in einem Traumreich geblieben wäre.“ „Aber Shelley“, heißt es in Koeppens Text „Das brennende Herz“ weiter, „wollte das Leben, die Herkunft des Lebens und seinen Hingang, den Tod, ergründen.“ Der steht denn auch am Anfang des Abends. Und während der erste Satz aus Felix Mendelssohns „Schottischer Sinfonie“ das choreografische Konzept gleichsam kittet, erscheinen hinter einem durchsichtigen Vorhang schattenhaft all die Schönen, die wenig später Shelleys Lebensweg rekapitulieren – als eine einzige Abfolge von wechselhaften Amouren, die den Zuschauer kaum einmal ahnen lassen, was den Dichter im Innersten bewegt.

Vladimir Malakhov hat an diesem Abend zwar jede Menge Ballettschritte zu bewältigen, und der Intendant des Staatsballetts Berlin interpretiert sie beispielhaft, mit Inbrunst, nie nachlassender Eleganz. Aber anders als etwa in „Onegin“ bleibt aller Tanz äußerlich und macht nicht ein einziges Mal das Wesentliche wahrhaftig. Dabei kennt der Ballettmeister der Pariser Opéra seinen Cranko in- und auswendig, und mehr als einmal befremdet er den Kenner mit einer Choreografie, die sich ihrem Vorbild manchmal bis zum Plagiat annähert, ohne allerdings das Original jemals erreichen zu können.

Wenn das „flammende Herz“ ganz offensichtlich das Publikum erwärmt, mag das zum einen an der ungemein kultivierten Kostümierung von Luisa Spinatelli liegen, die jeder Bewegung etwas Bewundernswertes gibt. Zum anderen ist das Einverständnis sicher auch in einer Musik zu suchen, die Ermanno Florio als Dirigent ganz auf die Bedürfnisse des Balletts abgestellt hat: hier das Motiv „Ein feste Burg ist unser Gott“ (wenn Shelley als Freidenker gegen die Scholastik seiner Uni rebelliert), dort die Ouvertüre zu „Die Heimkehr aus der Fremde“, um so etwas wie Häuslichkeit zu signalisieren. Das „Dresdner Amen“ aus der „Reformationssinfonie“ erklingt schließlich, wenn Lord Byron den Ertrunkenen nach antikem Brauch auf einem Scheiterhaufen bestattet.

Nicht zuletzt ist der durchschlagende Erfolg des Abends in einem Ensemble erlesener Tänzerinnen begründet, das nicht nur Shelley schwindlig macht: Die blutjunge Iana Salenko verkörpert seine erste Liebe, Nadja Saidakova seine zweite. Elisa Carrillo Cabrero und Sebnem Gülseker, beide in Stuttgart unvergessen, sind in kleineren Rollen zu erleben – und Polina Semionova überwältigt in ihrer künstlerischen Größe als eben jene Mary Shelley, die „Frankenstein“ zu ewigem Leben verhalf. Aber das ist schon wieder Stoff für ein Stück, das mancher lieber gesehen hätte als ein biografisches Ballett.

 

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