Die Flüchtigkeit des Tanzes

Davide Bombana, Cayetano Soto und Mauro Bigonzetti beim Ballett Augsburg

Augsburg, 23/02/2009

Leicht ist es nicht, neben der Hauptstadt München mit ihren Ballett-/Tanzensembles an immerhin zwei Musiktheatern auf sich aufmerksam zu machen. Aber nach eineinhalb Saisons am Theater Augsburg kann Ballettchef Robert Conn mit Fug sagen: Hallo, wir haben auch etwas zu bieten. Sein Ensemble, trainiert und gecoacht vor allem von ihm und seiner Frau, der langjährigen herausragenden Stuttgart-Ballerina Yseult Lendvai, verblüfft mit Virtuoso-Technik im ganz aktuellen „zeitgenössischen Ballettstil“. Und Davide Bombana, Cayetano Soto und Mauro Bigonzetti, die Gast-Choreografen (Conn beschränkt sich grundsätzlich wie Staatsballettchef Ivan Liška auf die künstlerische Leitung), lohnen den Trip zum neuen gemischten Abend: „Choreografische Spuren“.

Für viele Ballett- und Tanzfans ist es auch ein spannendes Wiedersehen mit Bombana und Soto, die beide in München ihre Choreografen-Laufbahn starteten: Der Italiener Bombana Anfang der 1990er Jahre mit Stücken für das Staatsballett, dem er davor fünf Jahre als leidenschaftlich engagierter Erster Solist angehörte; der Spanier Soto mit Arbeiten für Philip Taylors Tanztheater am Münchner Gärtnerplatztheater. Das dort 2002 kreierte „Plenilunio“ – damals schon ein Beweis seinen Talentes – wird hier ergänzt durch das neu entworfene Duo „Zero in on“ (etwa: „sich konzentrieren auf“): Zu Philip Glass‛ minimalistischen „Glassworks“ treten zwei Tänzer in beredten Gesten-Dialog. Körper wie scharf konturierte bewegte Skulpturen, die sich mit Armen, Händen, Beinen gegenseitig Möglichkeiten liefern zu witzig-skurrilen, verschlungenen Begegnungen und Kontakten. Genau so sieht, generell und speziell auch an diesem Abend, der „zeitgenössische Ballettstil“ aus: Die Basis ist das klassische Ballett (das erkennt man noch an den Arabesquen, Grands Jetés und Pirouetten), die aber intensiv in freie Bewegungen fortgeschrieben ist: Von den kleinteiligen Tanztheater-Gesten bis zum Torso-Ondulieren des Electric Boogie und den artistischen Griffen und Hebungen des Eiskunstlaufs – alles ist erlaubt und wird doch nie zirzensisch.

Während diese postmoderne, ganz freie Neoklassik bei Soto eher skulptural wirkt, ist sie bei Bombana in unaufhörlich weichem Fluss. Ob in den Ensembles oder in den drei komplexen Pas de deux. Jeder für sich eine individuelle Paar-Beziehung, in der sich Zusammenhalt, Gemeinsamkeit, Liebe in luftigen, verschwimmenden, flüchtigen Bewegungen ausdrücken. Ganz wie sein Titel „In the Air clear and unseen“ ankündigt, sind die getanzten Schritte und Formen „klar“, aber im Vorbeihuschen doch wie „nicht gesehen“. Jetzt da – und dann schon wieder aufgelöst. Alles an diesem Stück erzählt etwas von der Schönheit und der Flüchtigkeit des Tanzes. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen der Tänzer von rechts und links aus den Kulissen, als ob die Bühne schon jenseits beginnen würde. Verstärkt wird die räumliche Entgrenzung durch einen rückwärtigen bühnenfüllenden Hänger aus breiten Streifen, hinter dem immer mal wieder Tänzer wie verwischte Traumbilder agieren, durch den sie auch hindurchtreten. „Traumfarben“ auch das Rot, Violett, Blau, Grün und Hellweiß, mit denen Ausstatter Stefan Morgenstern die durchlässige Streifenwand und die Tanzfläche ausleuchtet. Bombana ist ein Choreograf, der Bewegungen finden, und zwar aus dem Gefühl un der Musik heraus finden kann. Aber nicht nur das. Er schafft in diesem bildnerischen Raum und im subtil gleitenden Wechsel von Bach-Sonaten und -Partiten und den Viola-Klangexperimenten von Walter Fähndrich eine atmosphärisch dichte, entgrenzte, eine ganz eigene Welt. Und darin – und nicht in brillanter Handwerklichkeit der Schritte – liegt die eigentliche Kunst der Choreografie. Schön zu sehen, dass Bombana da angekommen ist.

Ein Wermutstropfen doch an diesem gelungenen Abend: Mauro Bigonzettis „Canzoni“ (1997), die als peppiges Finale gedacht waren. Der erfolgreiche Leiter des Aterballetto in Reggio Emilia ist als Choreograf auch international gefragt. Und schlecht gemacht sind diese flirtigen Paar-Begegnungen sicher nicht. Aber zu diversen, nicht gerade aufregenden US- und Italo-Popsongs zieht sich diese Folge von Pas de deux und einem Trio doch ziemlich in die Länge. Ohne dieses Stück, von dem sich Bigonzetti sicher leichter als von einem anderen seiner Werke trennte, wäre der Abend perfekt. Man möchte doch lieber den ästhetischen Reiz und die künstlerische Anregung der Stücke von Bombana und Soto mit nach Hause nehmen, als sie von weniger interessanten Bewegunsgbildern überdecken zu lassen. Ein Abend darf ruhig kurz sein, wenn er dicht ist. 

Link: https://staatstheater-augsburg.de/

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