Tolle Technik, tolle Ausstrahlung

„Schritt.Macher“, Premiere am Augsburger Ballett unter Robert Conn

Augsburg, 18/03/2008

Tolle Technik, tolle Ausstrahlung. Im Herbst 2007 hat Robert Conn, der neue Ballettchef am Theater Augsburg, seine Tänzer rekrutiert, und bereits in dieser, seiner zweiten Premiere präsentierten sie sich als exquisit homogenes und dennoch persönlichkeitsstarkes Ensemble. Ganz schön schwierig, für diese Super-Beweger adäquates Tanzfutter heranzuschaffen – und das bei begrenztem Budget. Mit Stücken von Christian Spuck, Kevin O' Day und Trey McIntyre, moderne bis schräge Neoklassiker, kam der Abend jedenfalls beim Augsburger Publikum blendend an. Am Ende anhaltendes rhythmisches Begeisterungs-Klatschen.

Erzählen ist nicht so die Sache der jüngeren Choreografen. Sie deuten eher nur an, arbeiten mit assoziativen Bildern. Spuck, seit 2001 Hauschoreograf des Stuttgarter Balletts – für das er immerhin u. a. abendfüllend „Lulu“ (2003) und „Der Sandmann“ (2006) herausbrachte – will in seinem „Sleepers Chamber“ (2007) existenzielle Bedrohungen wie Terrorismus und Naturkatastrophen evozieren. In seine von ihm selbst entworfene „Schläfer-Kammer“ ragen die Schattenrisse riesiger Heuschrecken. Und zu den eigens von Martin Donner komponierten hohl schlagenden, elektronischen Rhythmen zelebrieren acht hyperbewegliche, in ihren eckigen Gesten manchmal insektenähnliche Wesen ein Endzeit-Ritual. Die grotesken rätselhaften Figuren eines Hieronymus Bosch könnten Christian Spuck inspiriert haben.

Der Amerikaner Kevin O'Day, seit 2002 erfolgreicher Mannheimer Ballettchef, führt in seinem „Bloodgroove“ (2003) zu elektronisch schlingernden Tango-Kompositionen von Robert Glumbek je fünf Männer und Frauen zusammen. Und die lassen es in fetzigen Single- und Paar-Tänzen „grooven“, fußrasant und flirtig-kompliziert in den Partnerfiguren. So flitzig, wie hier Spitzenschuh-Piqué, Griffe und Hebungen funktionieren – da kann der nicht-tanzende Normalo nur staunen. Bei Spuck und O'Day ist ganz deutlich die Prägung durch William Forsythe sichtbar (O'Day hat ein Jahr in Forsythes Frankfurter Ensemble getanzt). Die verschraubte, oft auch brutal gebrochene neoklassische Körperlinie; die aus der Kontakt-Improvisation gewonnenen und dann pointiert ausgestellten Körperposen; diese den Tanzfluss und -atem bestimmenden, nervaufreibenden elektronischen Hack-Rhythmen; die nachtschattige Bühne; der mitten im Stück unerwartet plötzlich sich senkende Vorhang als plakative Illusionszerstörung – das alles sind die von Forsythe in den 80er Jahren neu eingeführten Stilmittel. Damals Schock und Faszinosum zugleich. Forsythe eröffnete der Neoklassik ganz neue Ausdrucksmöglichkeiten. Heute, nach mehr als 20 Jahren wirken diese Mittel (sofern nicht schöpferisch fortgeschrieben) epigonal, um nicht zu sagen verbraucht.

An dem in den USA basierten Trey McIntyre ist die Forsythsche Revolution eher unbemerkt vorübergegangen. In Amerika waren es die Modern-Dance-Choreografen wie Martha Graham, die Postmodernen wie Trisha Brown, die vom Jazz angesteckte Twyla Tharp, die auf die Neoklassik einwirkten, ihr einen lässigen, sportlich schlenkernden Duktus erlaubten. McIntyres zu zwölf Beatles-Songs sicher etwas zu langes, dennoch in sich angenehm dynamisches „A Day in the Life“ (2006) – was immer auch dieser Titel bedeuten will – ist von keiner Gedankenschwere angekränkelt, macht herrlich heiter und obendrein den geeigneten Rausschmeißer.

Sind nun McIntyre, O'Day und Spuck, wie der Abend verheißt: „Schritt.Macher“? In diesen Arbeiten erweisen sie sich, was gar nicht gering zu schätzen ist, vorerst nur als hoch professionelle Schritte-Macher. Ihr Vorteil, zu den Nachgeborenen der großen Schrittmacher Kylián, Forsythe und (in den USA) Twyla Tharp zu gehören, ist letztlich zugleich belastende Erbschaft. Denn was kann man heute, nach diesen Galionsfiguren, noch „neu“ kreieren? Es braucht Zeit, um sich von ihnen zu befreien, um sie hinter sich zu lassen. Vielleicht schafft das erst die nächste Generation. So, wie sich die Situation zur Zeit darstellt, wird Conn hart kämpfen müssen, um seinen Traum von einem spannenden Repertoire-Ensemble zu verwirklichen.

19., 23., 28. März; 04., 13., 15., 18., 24., 27. April; 11 Mai, Karten 0821/324 4900

www.staatstheater-augsburg.de

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