Der harmloseste Aufstand aller Zeiten

Als letzte Premiere seiner 13-jährigen Amtszeit als Ballettchef der Rheinoper verschlimmbessert Youri Vàmos seinen „Spartakus“ von 1989

Düsseldorf, 15/02/2009

Als Youri Vàmos im Herbst 1989 in Bonn seine erste „Spartakus“-Choreografie herausbrachte, bescheinigte ich ihm in der FAZ – neben dem Mitgefühl für die Leiden der Opfer, die ich in Juri Grigorowitschs Fassung fürs Moskauer Bolschoi-Ballett so vermisst hatte – die „kluge Disposition des Stoffes“. Knapp zwanzig Jahre später, da sich der aus Ungarn stammende Choreograf am Ende seiner 13-jährigen Amtszeit als Ballettchef der Deutschen Oper am Rhein erneut mit dem Stoff und Aram Khatschaturjans pompöser Musik beschäftigt (für deren Realisierung der Dirigent Felix Korobov eigens aus Moskau eingeflogen wurde), sehe ich auf der nunmehr von Pet Halmen gestalteten Bühne im Düsseldorfer Opernhaus – viel Rot, eine Menge metallisches Muskelgeprotze, mächtiges Aufundab der Hebebühne – nur noch einen großen szenischen Matsch: eine konturlose Muskelmann-Show in pseudo-antiken Kostümen.

Natürlich kann das an mir liegen. Aber ich fürchte: es ist nicht so. Youri Vàmos hat in dreizehn lethargischen Jahren am Niederrhein, in denen er nur einmal, 1997 in „Romeo und Julia“, demonstrierte, wie fabelhaft er alte Stoffe neu gestalten kann, seine stärkste Qualität verloren: eine Geschichte in tänzerischen Bildern so zu erzählen, dass sie jedermann auch ohne einen Blick in die Inhaltsangabe des Programmheftes versteht. Zu gestalten wäre ja nicht nur das Leid der Gequälten und Ausgebeuteten, auf das sich Vàmos vor zwanzig Jahren konzentriert hatte, sondern auch eine der größten Gefährdungen des Römischen Reiches durch den von dem Gladiator Spartakus angeführten Aufstand der Sklaven in den siebziger Jahren des ersten vorchristlichen Jahrhunderts: eine Revolution, die – wenn sie denn gelungen wäre – die Geschichte des Abendlandes entscheidend verändert hätte. Doch zu sehen ist nichts als eine barbarische Tanzshow im Kostüm. Der Aufstand, der zu zeigen wäre, findet nicht einmal im Ansatz statt.

Bevor sich die Sklaven und Sklavinnen dazu entschließen, sich gegen ihre Herren zu erheben, veranstalten sie – Spartakus (Filip Veverka) und Frau Varynia (Suzanna Kaic) allen voran – erst einmal eine nette Tanzparty, und als sie sich schließlich mit Stöcken bewaffnen und Richtung Hintergrund vorrücken, wo die Herren Römer residieren, genügt es, dass der goldgewandete Crassus (Alexey Afanasiev), einsam und exponiert auf einer Freitreppe, sich zu einer Drohgeste aufrafft. Da ziehen sie mutlos den Schwanz ein und verkrümeln sich; der harmloseste Aufstand aller Zeiten versandet in Larmoyanz. Keine Frage, dass in diesem „Spartakus“ – wie in eigentlich allen Aufführungen während jener dreizehn Jahre, in denen Vàmos an der Spitze des Rheinopernballetts gestanden hat – gut, partienweise vorzüglich, getanzt wird. Doch mit zeitgenössischen Tanz, wie ihn Heinz Spoerli („Goldberg-Variationen“) gelegentlich und Gäste wie Hans van Manen oder Jiri Kylian dem Düsseldorfer Publikum immer mal wieder spendierten, hat das nichts zu tun. Wir befinden uns, bestenfalls, in der ersten Hälfte des 20., nicht im 21. Jahrhundert: irgendwo in den Wirrungen des getanzten „sozialistischen Realismus“. Es wird Zeit, dass Martin Schläpfer kommt und das Ballett der Deutschen Oper am Rhein aus jenem Dornröschenschlaf weckt, in dem es in den letzten Jahren unter Vàmos zunehmend tiefer versunken ist.
 

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