„Das“ Solo für eine Gestalt...

...von Barbara Fuchs für Barbara Fuchs

Bremen, 29/05/2009

von Jaisha Laduch

Eintausendvierhundertachtundfünfzig, Eintausendvierhundertneunundfünfzig, Eintausendvierhundertsechzig... Männerstimme, Frauenstimme, Kinderstimme – hat „das“ Solo eine Stimme? Es ist dunkel. Das Tanzfestival XtraFrei zeigt an diesem Abend in der Schwankhalle „Das Solo für eine Gestalt“ von Barbara Fuchs für Barbara Fuchs. Die musikalischen Landschaften schuf Komponist Jörg Ritzenhoff. Die Augen gewöhnen sich nur schwer an die beginnende Dämmerung. Der ebenerdige Bühnenboden ist mit annähernd 1500 gelben, quadratischen Notizzetteln beklebt. Die Kulisse erinnert an „Alice im Wunderland“: Ein nicht enden wollendes, gelb-schwarzes Schachbrett tut sich vor dem Zuschauer auf. Akribisch wurde hier Zettel an Zettel in versetzen Reihen geklebt. Sieben Leute werden nach der Aufführung fast zwanzig Minuten brauchen, um die Requisiten wieder zu entfernen.

In einem warmen Lichtkreis steht Barbara Fuchs. Ihre Haare sind kurz, silberblond, und ihr Gesicht schimmert weiß. Nur schwer lassen sich in ihrem Gesicht Emotionen lesen. Da ist nichts weiches Weibliches, nichts hartes Männliches – aber da ist was, etwas. Sie ist durchtrainiert; und diese Beschreibung ist angesichts ihrer androgynen, gestählten Figur noch untertrieben. Die Kölner Tänzerin trägt, wie um die fehlende Weiblichkeit ihres Körpers auszugleichen, ein eng anliegendes Oberteil und einen grauen Rock, dessen Enden sie zwischen ihren Fingerspitzen hält. Jede ihrer Bewegung scheint durchdacht, nichts dem Zufall überlassen. Sie trippelt über das Feld, achtsam, um keine der Markierungen zu übertreten. Dann wieder bewegt sie sich mit kraftvollen, ausgeprägten Schritten zwischen den Reihen hindurch, immer wissend, wohin der linke, der rechte, der linke, der rechte Fuß gesetzt wird.

Auf dem Boden werden unsichtbare Muster greifbar. Wie ein Nähmaschinenfuß stempelt sie sich vorwärts. Sie zieht ihre Zehen nach oben; nie bleiben ihre Füße an einem der lockenden Post-its hängen. Fast mechanisch spielt sie ihr mobiles Hinke-Pinke. Die Bewegungen werden zur Grundlage des Spiels. Sie formt sich wiederholende Muster. Mit durchgestreckten Beinen und nach unten gebeugtem Oberkörper legt sie einen Kreis in der linken Hälfte des Schachbrettes frei. Einen Notizzettel nach dem anderen. Eine Stimme aus dem Off bietet dem Zuschauer Interpretationsmöglichkeiten an: „Nicht zwinkern und nicht blinkern“, „nie die Brustwarzen schminken“, „nie links“, „nie rechts“, „Essen nicht vergessen“, „Du bist nicht allein“. Barbara Fuchs zieht ihren Rock aus und legt ihn in den neu entstandenen Kreis.

Dann, Spotlight: Der Kreis wird scharf ausgeleuchtet, die Musik wird lauter, schneller. Im neuen Spielkreis innerhalb der Spielfläche posiert sie, posiert er. Ein bis aufs letzte Gramm durchtrainierter Bodybuilder tritt uns entgegen, man kann die Schweißperlen auf ihrer Stirn erkennen. Wie ein defekter Roboter, der langsam die Kontrolle verliert, steigert sie sich in ihre Bewegungen hinein. Grobe Zuckungen durchschütteln den Körper. Sie scheint zu sich zu kommen. Sie verkleidet sich mithilfe der Post-it-Zettel und spielt unterschiedliche menschliche Attribute durch: der Bart, die Brüste, die Ohren. Geschlecht scheint bei Barbara Fuchs keine Rolle zu spielen und gleichzeitig spielt es die Hauptrolle. Die Uneindeutigkeit von Geschlechtszuordnungen durchzieht die gesamte Aufführung.

Die Musik geht aus, sie legt sich hin, entspannt sich. Zuschauer entspannen: Schultern sinken, Gläser werden zum Mund geführt. Eine Gebläsemaschine geht an, und die Post-its werden vom Winde verweht. Man atmet durch. Dann dreht sich die Tänzerin auf die Seite und streift langsam ihr Oberteil und ihre Hose ab. Sie ist nackt. Spielt das eine Rolle? Haben wir überhaupt bemerkt, dass sie nackt war? Durch die geschickt durchstrukturierte Choreografie bekommt der Zuschauer während der gesamten Phase der Nacktheit keine Brustwarze zu sehen – keine geschminkte und auch keine ungeschminkte. Eintausendvierhundertneunundachtzig, Eintausendvierhundertneunzig,

Eintausendvierhunderteinundneunzig... Sie rollt, wandert, stempelt sich vorwärts zum Rock und stülpt diesen über, um eine weitere Metamorphose zu beginnen. Begleitet von einer zählenden Kinderstimme transformiert sich ihr Körper, von einer Maria mit Schleier zu einem Baby am Boden. Das Licht wird wärmer. Ihre Haare sind zerzaust. Die Atmosphäre auf der Bühne erinnert an die diejenige, die nach Sex mit einem vertrauten Partner entsteht.

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