Androider Tanz im Neonröhrenwald

Yui Kawaguchis „Andropolaroid“ auf dem XtraFrei-Festival in Bremen

Bremen, 15/07/2010

von Jens Laloire

An schwarzen Kabeln hängen Neonröhren von der Decke herab und verwandeln den Bühnenraum in einen geometrisch geordneten Lichterwald. In dieser Landschaft bewegt sich die Choreografin und Tänzerin Yui Kawaguchi in ihrem Tanzstück „Andropolaroid“, das am zweiten Abend des XtraFrei-Festivals in der Schwankhalle Bremen auf dem Programm stand. Die in Japan geborene und in Berlin lebende Künstlerin erforscht in ihrer Soloperformance Identitätsfragen anhand einer einsamen Gestalt, deren Lebensrhythmus von den Lichtwechseln und elektronischen Klängen vom Band bestimmt wird.

Das Stück beginnt mit dem Erlöschen der Scheinwerfer, eine Dunkelheit ergreift den Raum, die von nun an nur vom Leuchten der Neonröhren durchbrochen wird. Anfangs flackern sie immer nur blitzlichtartig auf und präsentieren die Tänzerin, die in einem papierenen, weißen Schutzanzug barfuß durch das Lichtfeld tanzt: kurze Bewegungen, verzerrte Sofortbilder einer Polaroidkamera. Angetrieben von elektronisch kühlen Klängen schreitet Yui Kawaguchi durch die Zwischenräume, dreht sich um die eigene Achse, springt auf und ab. Licht und Ton geben den Takt vor, scheinen die Tänzerin zu beherrschen und ersetzen gleichzeitig die fehlenden Spielpartner. In dem Wechselspiel reagiert jeder auf jeden: Tänzerin, Licht, Ton. Eine in sich geschlossene Kommunikation.

Da fällt ein roter Pullover von der Decke. Er bringt Farbe ins Spiel. Die Tänzerin versucht sich dem Kleidungsstück anzunähern. Doch jeder Kontakt führt zu Störgeräuschen, die aus dem Pullover zu kommen scheinen. Immer wieder schreckt die Tänzerin zurück, um ihn sich schließlich mit Gewalt überzuziehen und anzueignen. Sofort ergreift rote Kapuzenpullover Besitz von der Trägerin. Er gibt ihrer androiden Gestalt für einen Moment etwas Menschliches und schenkt ihr ein Lächeln; doch zerbricht das Menschliche sofort, denn da lächelt, künstlich, ein Roboter. Auch die Begrüßungsrituale, die das Wesen nun ausführt, wirken mechanisch: Händeschütteln, Umarmen, Verbeugen und Küsschen werden zu Fließbandbewegungen, zu einem Konzentrat sozialer Bewegungsabläufe, die sich wie im menschlichen Leben permanent wiederholen und, nicht mehr hinterfragt, zu hohlen Posen verkommen.

Die Tänzerin wandelt sich nun vielfach, wird Kampfsportlerin, schlägt Rad, springt und hüpft, wird Hund und Hase, stülpt den Pulli mit den Armen über ihren Kopf und verwandelt sich in eine rote Rose. Gebeugt steht sie im Raum – die Ruhe einer Blume, nicht gehetzt und gequält. Doch die Hatz geht weiter: Klang und Licht treiben die Figur erneut durch den Neonröhrenwald. Viele Szenen erinnern dabei an unsere automatisierte Welt: Nicht wir geben den Rhythmus vor, sondern die Arbeitsprozesse, die Kommunikations- und Verkehrsmittel, die Bilder einer Medienkultur. Am Ende bleibt die Frage, was ursprünglich zum eigenen Ich gehört, und was übergestülpt und vielleicht für immer fremd bleibt.

In ihrer Soloperformance wirft Kawaguchi einen Blick auf unsere durchrhythmisierte Gegenwartskultur mit ihren Ich-Konstruktionen. Tänzerisch überzeugend setzt sie sich als androides, von Soundcollagen angetriebenes und im Lichterwald umherirrendes Wesen in Szene. Besonders am Anfang fesselt die knapp sechzigminütige Inszenierung, die zwar nicht durchgehend die Spannung hält und sich hier und da in der Wiederholung erschöpft, doch insgesamt beeindruckt.

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