Aus dem Sprachlaboratorium des Balletts

Douglas Lee, Edward Clug und Marco Goecke im neuen Dreierpaket der Stuttgarter Kompanie

oe
Stuttgart, 29/04/2009

Drei Novitäten des Stuttgarter Balletts bei seiner jüngsten Premiere im Schauspielhaus – mit zwei deutschen Erstaufführungen nach ihrer Kreation bei so renommierten Kompanien wie dem New York City Ballet und dem Scapino Ballet Rotterdam, dazu eine veritable Uraufführung, bestellt und Made by the Stuttgart Ballet – alle drei vom Publikum enthusiastisch aufgenommen. Nach wie vor hat die Stuttgarter Ballettdirektion die Nase vorn! Mit einer Kreation von einem hierzulande total unbekannten Choreografen aus dem ehemaligen Ostblock: Edward Clug, Chef des Slowenischen Nationalballetts in Maribor (das liegt ein paar Kilometer hinter der Grenze zur österreichischen Steiermark). Gewagt und gewonnen! Der Slowene erweist sich als die Entdeckung des Abends – seine beiden Stuttgarter Kollegen alias Douglas Lee und Marco Goecke bestätigen ihren Ruf als inzwischen international akkreditierte Profis.

Douglas Lee, den wir gern öfter als in jüngster Zeit als Principal Dancer unserer Home-Company sehen würden, ist hier am Ort zu einem gediegenen Handwerker gereift, der gut mit seiner Gruppe umgehend kann, die er in vielfältiger Verästelung ausgesprochen polyphon zu führen versteht. Ob er ein zukunftsträchtiger Ballettautor ist, wird die Zukunft lehren. Denn auch wenn sein nun nach Stuttgart übernommenes Ballett „Lifecasting“ zu Musik von Ryoji Ikeda (vom amerikanischen Stamme der Ikea?) und Steve Reich das Gütesiegel des New York City Ballet trägt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch im Big Apple choreografisch mit Wasser gekocht wird. Ein Elf-Tänzer-Stück, präsentiert es sich als eine Posen-Figuration im Museum oder Atelier, die von der antreibenden Kraft der Musik zu tänzerischem Leben erweckt wird.

Früher nannte man so etwas „Die Puppenfee“ oder „Der Zauberladen“, wo zu mitternächtlicher Stunde die Figuren ihre Geisterreigen tanzen und dabei allerlei Schabernack treiben. Bei Lee handelt es sich indessen um abstrakte Wesen, die von der Musik in immer hektischere Arrangements getrieben werden, was gewiss sehr abwechslungsreich geschieht, auf die Dauer aber durch seine Ziellosigkeit eher ermüdet. Obgleich die Stuttgarter Tänzer-Equipe mit Alicia Amatriain und William Moore an der Spitze sich weidlich müht, Lees mechanische Abläufe zu nobilitieren. „Lifecasting“ oder „Deadanimation“, das ist hier die Frage.

Nicht so bei Goeckes „Bravo Charlie“ zu Teilen aus Keith Jarretts „Köln Concerto“. Ausgeführt von sechs Tänzerpaaren, erkennt man augenblicklich die strichelnde Handschrift des Wuppertal-Stuttgarters, unter deren wuselnder Oberfläche es so drohend grummelt und dräut. Die Musik hat hier gewissermaßen die Funktion eines Herzkatheders, der zwölf Tänzer am Rande eines Herzinfarkts entlangschrammen lässt. Und so zittern, vibrieren, ondulieren und surfen sie todesmutig ihre Bahnen: ein Experiment auf Messers Schneide, während das Publikum den Atem anhält und sich anschickt, sich in die neue choreografische Sprache einzusehen, die so weit entfernt ist von den diversen Dialekten à la Balanchine, Kylián oder Forsythe, wie sie heutzutage die tänzerische Umgangssprache aller Kontinente ist. Mit jedem seiner Ballette wird klarer, wie Goecke auf dem besten Wege ist, die Grammatik seiner eigenwilligen Sprache zu verfeinern, ihr eine neue Eleganz abzugewinnen.

Umso verblüffender zu sehen, wie unser neuer Mann aus Slowenien in seinem „Pocket Concerto“ zur Auftragsmusik von Miko Lazar offenbar mit einem ähnlichen Vokabular wie Goecke arbeitet. Selbst wenn er die eine oder andere Choreografie von Goecke gesehen hat, verblüfft doch die gleiche Verknappung und Minimalisierung ihrer Zeichen – und genau wie bei Goecke hat man den Eindruck, dass sich hinter ihnen eine andere Wirklichkeit verbirgt, die bald drohende, bald belustigende Signale aussendet: wie es ja auch der Titel seines Balletts verheißt mit seinen Taschenspielertricks, die immer etwas Anderes zutage fördern als man erwartet. So addieren sich die Tänze in seinem Ballett zu einem Kaleidoskop der unterschiedlichsten Emotionen und Befindlichkeiten: für Abwechslung ist also reichlich gesorgt. Offenbar ist Clug ein Geschichtenerzähler, aber einer, dessen Stories sich sofort verflüchtigen, wenn man sie literarisch oder anekdotenhaft dingfest zu machen versucht. Die Stuttgarter Tänzer um Anna Osadcenko und Oihane Herrero, Alexis Oliveira und William Moore führen die neue Sprache in einer Perfektion vor, als hätten sie gerade ihren Masterdegree in einem funkelnagelneuen Berlitz Laboratorium des Balletts erworben.
 

 

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