Alphörner im Albtraum

Das Scapino-Ballett mit Werken von Marco Goecke

Ludwigsburg, 11/04/2009

Als älteste der modernen holländischen Tanzkompanien tourt das Scapino-Ballett aus Rotterdam regelmäßig mit neuen Choreografien durch die Niederlande. Bei uns ist die etwa 20 Tänzer starke Truppe auch deshalb bekannt, weil der Stuttgarter Haus-Choreograf Marco Goecke dort alljährlich ein Stück herausbringt. Mit zwei Werken von Goecke und zwei Stücken ihres niederländischen Direktors Ed Wubbe war die ursprünglich nach einer Figur aus der Commedia dell’arte benannte Kompanie nun umjubelter Gast in der Tanzreihe des Ludwigsburger Forums am Schlosspark.

In „The Green“ lässt Wubbe sieben Männer auf einer grünen Kunstwiese tanzen, wo sie krabbeln, hechten, rutschen und in ihren schwarzen Stoffhosen merkwürdige Rituale vollziehen. Begleitet wird das Ganze vom Eingangschor der Bachschen Johannes-Passion und der Kontrast zwischen introvertierten Rasensportlern und der religiösen Erhabenheit dieser Musik ist dann doch so krass, dass er eher Fragezeichen als Ausrufezeichen in unsere Köpfe malt. Wesentlich eleganter, aber auch kühler sieht Wubbes „Quartet“ aus: Als wären vier reiche Yuppies, feine Banker oder intellektuelle Anwältinnen, abends mal nicht in ihre übliche Lounge-Bar gegangen, sondern hätten stattdessen modernes Ballett getanzt. Zu elektronischen Beats mit überdeutlichen sexuellen Texten wirkt dieses Stück so schick und cool, dass es zu erfrieren droht. Marco Goeckes Solo „Äffi“ ist in Stuttgart wohlbekannt als getanzte Konfrontation mit dem eigenen Ich (weshalb der Interpret sich anfangs selbst die Hände schüttelt), ein Stück voll Zweifel darüber, ob es besser wäre, sich den Hals durchzusägen oder ein Liedchen zu pfeifen. Auch Tadayoshi Kokeguchi, der das ursprünglich für Marijn Rademaker entstandene Solo hier interpretiert, wiegt sich am Schluss in den Rhythmen der melancholischen Songs von Johnny Cash, aber er tanzt Goeckes Solo wesentlich nervöser und fahriger, ein interessanter Gegensatz zu den Stuttgarter Besetzungen.

Wieder einmal war dann exemplarisch zu bestaunen, worin die Faszination von Marco Goeckes düsterem, nervösen Stil liegt: in seiner Imaginationskraft, dem Heraufbeschwören von Bildern auf der Grenze zwischen Poesie und Angst. Es fällt ihm einfach so unendlich viel mehr ein als den anderen Choreografen, so auch in „Der Rest ist Schweigen“, seinem ersten Werk fürs Scapino-Ballett aus dem Jahr 2005. Mit Hamlets letzten Worten ist hier eines von Goeckes frühen Nachtmahr-Stücken übertitelt. Über den typischen schwarzen Hosen sitzen auf den nackten Oberkörpern der Tänzer dunkle, glänzende Fetzen: schwarz-irisierende, handtellergroße Schmetterlinge, dicht gedrängt und von stiller, unheimlicher Schönheit. Wie exotische Vögel oder glänzende Chamäleons sehen die Tänzer aus, bevor sie die dunklen Schuppen immer wieder nervös von ihren Körpern abstreifen, bis am Schluss die ganze Bühne übersät ist mit toten Schmetterlingen. Das Stück wirkt episodischer, zerklüfteter als Goeckes heutiger Stil, damals lag der Choreograf auch noch im Clinch mit der Musik. Die zarten Songs des frühen amerikanischen Folk-Komponisten Stephen Foster, eingespielt in einer Interpretation von Thomas Hampson, werden hier immer wieder durch pfeifende, stöhnende, brüllende Tänzer übertönt. Mit einem Donnern wie aus Elefantenrüsseln taucht schließlich aus dem Dunkel eine Phalanx von schwarzen Alphörnern auf, geblasen von vermummten Gestalten ohne Gesichter: es ist Ballett zum Angst-und-bange-Werden.

www.scapinoballet.nl

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