Zweierlei Joseph

Erste und zweite Besetzung in John Neumeiers „Josephs Legende“ und „Verklungene Feste“

Hamburg, 15/07/2008

Es ist eines der Privilegien, über die Hamburgs Ballett-Intendant John Neumeier verfügt: dass er für große und kleine Rollen immer die Qual der Wahl zwischen mindestens zwei, wenn nicht sogar drei hochqualifizierten Interpreten hat. So auch bei „Josephs Legende“, der jüngsten Premiere zum Abschluss der Spielzeit. In der ersten Besetzung brillierte hier Alexandre Riabko in der Titelrolle. Sein Joseph atmet bei aller Jugendlichkeit bereits die Spiritualität und Reife, in welche die erwachsene Bibelfigur später hineinwächst. Er ist weniger ungestümer Hirtenbub als scheuer Knabe, der innerhalb kürzester Zeit zum Manne reift, und der stets eine feine Noblesse ausströmt, Würde, Unschuld, Reinheit. Von absolut bestechender technischer Brillanz sein über 15-minütiges großes Solo, ein Kraftakt, bei dem Riabko jedoch selbst bei den schwierigsten Sprüngen im zweiten Teil nie auch nur den Funken von Müdigkeit ahnen lässt. Ein Phänomen!

Thiago Bordin in der zweiten Besetzung stattet seinen Joseph mit einem naturgegebenen ungestümen Charme aus, dem niemand widerstehen kann, ein ungemein junger, frecher, bildhübscher Jüngling. Am Hofe Potiphars nimmt er sofort jeden für sich ein, und es ist sonnenklar, dass er auf Potiphars Weib eine nahezu magische Anziehungskraft ausübt. Auch er meistert die schwierige Solo-Partie souverän, aber – dem Temperament entsprechend – nicht mit der absoluten Akkuratesse wie Riabko. Dennoch: Bordin kommt dem Joseph der Urbesetzung – unvergesslich: Kevin Haigen – am nächsten, ohne ihn zu imitieren.

Ähnlich divergent die beiden Frauenrollen: Kusha Alexi als erste Besetzung für Potiphars Weib setzt hier durchaus Maßstäbe. Wie ihre eiskalte Verlorenheit hier einem Vulkanausbruch an ebenso wütender wie hoffnungsloser Leidenschaft weicht, wie sie furios alle Kräfte entfesselt, um den zögernden Joseph rumzukriegen, das ist schon atemberaubend. Derart hitzig-explosiv hat man diese eher distanziert-unterkühlte Tänzerin noch nie gesehen. Schon äußerlich ein Kontrastprogramm zu der blonden und eher maskulinen Alexi ist die feine, schmale Joëlle Boulogne, mit Haaren, schwarz wie Ebenholz, und einem Kleid, rot wie Blut. Potiphars Weib hat bei ihr etwas durchaus Hexiges, Rätselhaftes, von dunkler Tiefe und depressiver Verzweiflung. Ihr Begehren ist durstig, gierig, aber nicht von so elementarer Triebhaftigkeit wie bei Alexi. Beides hat Qualitäten, beides sind glaubwürdige Interpretationen dieser vielschichtigen Frauenfigur.

Auch bei „Verklungene Feste“ gibt es zwei Varianten. Die erste dominieren die Ersten Solisten des Hauses: Silvia Azzoni, Joëlle Boulogne, Hélène Bouchet, Carolina Agüero sowie Ivan Urban, Peter Dingle, Carsten Jung, Thiago Bordin. Sie ziselieren die feinen Nuancen dieser 18 Tänze gekonnt aus bis in die Fingerspitzen. Hier sitzt jede Geste, und vor allem in der „Musette de Taverny“ entfachen Bouchet und Bordin ein sprühendes Bewegungs-Feuerwerk von bestechender Genauigkeit und blitzendem Humor – das ist große Tanzkunst, choreographisch wie tänzerisch. Vor allem in diesem Pas de deux offenbaren sich die Probleme der zweiten Besetzung. Anna Laudere – bei der man unabhängig von der Rolle, die sie gerade tanzt, ständig meint, sie trage die Schultern neben den Ohren, so verspannt ist ihr gesamter Oberkörper mit dem fortwährend leicht vorgereckten Kopf und dem maskenhaften „smile“ – und Edvin Revazov lassen die Raffinesse dieses Paradestückchens noch nicht einmal entfernt ahnen; eine glatte Fehlbesetzung. Carsten Jung ist die ruhende Säule bei den Herren, Yohan Stegli, Sébastien Thill und Amilcar Moret Gonzales absolvieren ihren Part zuverlässig und konzentriert. Catherine Dumont, Lucia Solari sowie Florencia Chinellato bei den Damen meistern ihre Rollen ebenso, ohne dabei jedoch das gewisse Etwas zu entfalten, das die Ersten Solisten von den Solisten unterscheidet.

Aber dafür sind solche Rollen schließlich da: sie bieten enorme Entwicklungsmöglichkeiten. Die Hamburger Kompanie jedenfalls ist insgesamt glänzend aufgestellt, um diese Chance zu nutzen.

 

Vorstellungen in der nächsten Spielzeit am 18., 24., 26. September und am 22., 24., 25., 29. Oktober 2008 sowie am 10. Juli 2009.

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