With/Out Curtain

Pina Bausch, A.D. 2008

oe
Wuppertal, 08/06/2008

Welch ein Unterschied! Gestern, in Bonn, ein schütter besuchtes – offenbar „gestopftes“ – Haus am letzten Abend des Choreographischen Theaters von Johann Kresnik (und kein lokales Lamento, das dieses Ereignis kommentierte – ähnlich wie vor Jahresfrist am Ende des balletttheaters münchen von Philip Taylor – finde ich ja doch etwas merkwürdig, diese Nichtreaktion der anfangs so lautstark engagierten Propheten des Tanztheaters). 24 Stunden später: vor dem Wuppertaler Schauspielhaus, der Ersatzspielstätte auch von Pina Bauschs Tanztheater während das Opernhaus in Barmen renoviert wird, eine Menge Leute mit Schildern: „Karten gesucht!“, während drinnen, vor der Kasse, eine lange Schlange darauf hofft, dass reservierte Karten nicht abgeholt werden. Pina Bausch hat es geschafft, ihre Stadt total – nicht ballettverrückt zu machen (wie Cranko in Stuttgart und Neumeier in Hamburg) , sondern sich mit ihrem Tanztheater zu identifizieren. Wobei ich überzeugt bin, dass dazu auch der internationale Prestigegewinn des Wuppertaler Tanztheaters beigetragen hat. Die Wuppertaler sind stolz auf ihr Tanztheater und werben damit in der ganzen Welt.

Wiederum also (noch) kein Titel für das neue Stück von Pina Bausch. Nicht auszudenken, wenn sie in Wuppertal begonnen hätte wie Martin Schläpfer in Mainz – nämlich ihre Programme einfach durchzunummerieren. Bei welcher Zahl wäre sie da inzwischen wohl angelangt? In den letzten Jahren lieferten ihr ihre ausländischen Auftraggeber zumeist die Titelstichwörter. Wäre doch toll gewesen, wenn sich China für seine Olympischen Spiele ein Stück bei Pina Bausch bestellt hätte (wobei nicht vergessen sein soll, dass sie sich schon einmal von China hat inspirieren lassen – im „Fensterputzer“ – aber das war noch das englisch-kolonialistische Schanghai.) Es hat nicht sollen sein. Und so warten wir mit einiger Spannung darauf, welchen Titel ihre jüngste Kreation nachträglich erhalten wird. Wie wär´s denn für diesmal mit einem einfachen „Pina Bausch A.D. 2008“ (könnte dann auch in Zukunft so fortgeführt werden?).

Die vierte von erst einmal acht Vorstellungen. Die Kritiken sind bereits erschienen – und ich habe sie gelesen, nicht alle natürlich, aber doch die mir wichtig erschienen. Die Fachzeitschriften stehen noch aus – da bin ich gespannt auf N. S. als den akkreditierten Sprecher des P. B. Konzerns. Mein Eindruck ist, dass das Gesamtecho durchaus freundlich ausgefallen ist – mit kleinen Einschränkungen. Doch der ganze große Wurf sei´s diesmal nicht gewesen. Was wohl auch an der kleinen Besetzung lag: sechs Damen und drei Herren. Pina Bausch im Kammerspielformat. Peter Pabsts Bühne ist diesmal ein mollusker Wald aus transparenten Vorhängen, die, von der Windmaschine aufgebläht, die seltsamsten Formen annehmen und wieder in sich zusammenfallen. Sie scheinen einer geheimen Choreografie zu gehorchen, führen ein tänzerisches Eigenleben, suggerieren, dass hinter ihnen eine Art zweites Ballett stattfindet. Der erste Teil gehört überwiegend den Frauen, jede ein Typ für sich, in lange, farbig bunte Abendkleider von Marion Cito gehüllt, mit ganz unterschiedlichen Schuhen, aber auch barfuß – die Herren, die erst nach der Pause mit ihren kontorsionistischen Einlagen zum Zuge kommen, in schwarzen Anzügen.

Dazu Weltmusik, Marke Pop, aus den Lautsprechern. Erstaunlich, was Pina Bausch immer wieder Neues, oder doch zumindest neu Erscheinendes einfällt – besonders für die kuscheligen Ondulationen der Arme. Das ist von einer geradezu sinnbetörenden Schönheit. Sie erzähltanzen die fantastischsten Anekdoten, auch absurde Albernheiten, aus ihrem Leben in ihren Herkunftsländern. Das mutet oft wie bekannt an, und fesselt doch jedes Mal wieder aufs Neue. Ich meine eine, eine neue Sinnlichkeit in ihren erzählgetanzten Soli und Partnerschaftsbegegnungen zu entdecken, frei und leicht und luftig, ausgesprochen seren und frei von jeder Verkrampfung, jeder Gewaltanstrengung. Sogar die Rangeleien und Balgereien zwischen den Geschlechtern haben eine neue Zärtlichkeit.

Es ist eine Choreografie, deren Kraftstoff Helium zu sein scheint – wie die Wolkengebilde der sich im Winde blähenden Vorhänge. Auch die berühmte P. B. Polonaisenreihe – ihr Logo sozusagen – ist wieder dabei – diesmal in Form einer Raupe, die sich auf Knien und Arme gestützt, über die Bühne wälzt. Schon die Namen der Mitwirkenden suggerieren ihre Herkunft aus vielen Ländern und Erteilen. Und jede und jeder tanzt seine eigene Geschichte. Und Pina Bausch ordnet diese Erzählungen wie eine Märchenerzählerin aus dem Orient. Lächelnd verlässt man, verlasse ich zehn Minuten vor zehn das Wuppertaler Schauspielhaus – wie von Peter Pabst auf Wolke Sieben gebettet.

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