Viel zu schön und harmlos

Mauro Bigonzetti choreografiert „Caravaggio“ fürs Staatsballett Berlin

oe
Berlin, 10/12/2008

Wie armselig stünde das Ballett da, holte es sich nicht immer wieder Inspirationen bei der bildenden Kunst. Von den Statuen der Antike über die Einhorn-Tapisserien im Pariser Musée Cluny reicht die jahrhundertlange Kette bis zu Picassos „Guernica“ – nicht zu zählen, die vielen Ballette, die sich von Degas haben inspirieren lassen. Zudem haben Maler, Plastiker und sogar Architekten dem Ballett immer wieder neue Impulse vermittelt – man denke nur an Diaghilew und seine vor hundert Jahren ins Leben gerufenen Ballets Russes. Auffallend schmal dagegen ist die Liste der bildenden Künstler, die den Choreografen als Modelle für ihre Porträtskizzen zur Verfügung gestanden haben – sehr im Gegensatz zu den Komponisten, von denen Tschaikowsky einsam an der Spitze steht.

Jüngstes Objekt ihrer tänzerischen Begierde ist der Maler Michelangelo Merisi, genannt nach dem Herkunftsort seiner Familie Caravaggio, dessen sich sowohl Liz King an der Wiener Volksoper und Jochen Ulrich am Landestheater Linz angenommen haben – gefolgt jetzt von Mauro Bigonzetti, dessen zweistündiges Tanzstück „Caravaggio“ beim Staatsballett Berlin zur Uraufführung gelangte – und die konträrsten Reaktionen hervorrief (allerdings nur in der Premiere, denn die zweite Vorstellung verlief vollkommen reibungslos). Und so bescheinigte eine der Berliner Zeitungen Vladimir Malakhov als Direktor der Kompanie einen „Absturz in den Kitsch“, während eine andere Gazette bewundernd feststellte, dass „der älter gewordene Berliner Ballettstar seinen Wechsel zum Ausdruckstanz vollzogen hat“.

Vergleicht man mit dem brillanten Caravaggio-Film von Derek Jarman, der allen drei Choreografen zur Inspiration gedient hat, kommt man sich allerdings wie in einer Rumpelkammer des Balletts vor, in der sich Bigonzetti, der seinerzeit in Stuttgart entdeckte Choreograf, der inzwischen eine Weltkarriere gemacht hat, gründlich auskennt. Von seinem ständigen musikalischen Mitarbeiter Bruno Moretti hat er sich dazu eine Musik arrangieren lassen, die er aus dem Oeuvre des Caravaggio-Zeitgenossen Claudio Monteverdi geschickt zusammengeklaubt und für großes Orchester instrumentiert hat.

Weit weist Bigonzetti den Verdacht von sich, eine getanzte Biografie des Outsiders der italienischen Renaissancemalerei beabsichtigt zu haben: Was ihn an Caravaggio gereizt habe, sei dessen Doppelexistenz als Mensch und als Künstler gewesen, die „Dunkelheit, Licht, das Heilige, das Leben, Technik, Studium und Neugier“, die in ihm eine höchst persönliche Symbiose eingegangen seien. Dazu hätte es aber eines anderen choreografischen Zugriffs bedurft als sie dem Ästheten Bigonzetti zur Verfügung steht – einen Pasolini des Balletts (den es nicht gibt – allenfalls einen Johann Kresnik, der sich einmal an einem ähnlichen Outcast-Maler versucht hat: Francis Bacon).

Was Bigonzetti bietet, ist eine kontrastreiche Abfolge von tänzerischen Bildern, zahlreichen Pas de deux und kleineren Ensembles bis zum Pas de six sowie einzelne Gruppentänze, die von einer bemerkenswerten Vitalität sind, während sich die solistischen Piecen – und besonders die für Malakhov – in einer verquälten Bewegungsakrobatik gefallen, als hätten die Tänzer einen Sonderkurs der Laokoon-Akademie absolviert. Sie machen das vorzüglich – doch was das alles mit dem Leben und dem künstlerischen Schaffen von Caravaggio zu tun hat, bleibt weitgehend schleierhaft und wird ersichtlich nur demjenigen, der sich in der Lebensgeschichte dieses Künstlers und seines Oeuvres gut auskennt. Zumindest hätte das Programmheft aus der Wikipedia die Seite mit den Abbildungen seiner Hauptwerke abdrucken sollen.

So summiert sich das neue Berliner Tanzspektakel zu einer gigantischen Fehlinvestition, die einer Bankrotterklärung der Berliner Ballettpolitik gleichkommt. Umso ärgerlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, was hier für ein tänzerisches Kapital angesammelt ist – denn das muss man Malakhov lassen, dass er, von dem allmählich sein Superstar-Glamour abblättert, sich mit einer Equipe von Solisten umgeben hat, von denen jede und jeder Principal-Dancer-Qualitäten aufweist, wie sie in dieser Häufung keine andere deutsche Kompanie zu bieten hat – heiße sie nun Polina Semionova, Beatrice Knop, Elisa Carrillo Cabrera oder Shoko Nakamura, beziehungsweise Mikhail Kaniskin, Dmitry Semionov, Michael Banzhaf oder Leonard Jakovina – nicht zu vergessen die sieben Paare und elf weiteren Paare, die in dieser Produktion das Corps de ballet vertreten.

So wenig es heute noch möglich sein wird, den inzwischen vierzigjährigen Malakhov von seiner bei seinen vielen Gastengagements in der ganzen Welt angehäuften Sammelsuriums-Ästhetik zu kurieren, so hat er doch in seinem Berliner Stab Mitarbeiter, die sich mit den besonderen Berliner Verhältnissen bestens auskennen und in der Lage sein sollten, ihn vor solchen desaströsen Fehlentscheidungen wie „Caravaggio“ zu bewahren. Nötigenfalls sollte sich Berlin dramaturgische Entwicklungshilfe von Hamburg oder München erbitten.

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