Verlorenes in Schwarz und Weiß

Das Bayerische Staatsballett ehrt John Cranko mit einer großen Gala

München, 18/04/2008

Auch in München hat John Cranko ähnliche Spuren hinterlassen wie in Stuttgart - wann immer jemand von früher erzählt, wann immer jemand auf den direkten Umgang mit dem Choreografen zu sprechen kommt, dann strahlt plötzlich ein Licht aus diesen Menschen, ihre Begeisterung sprudelt und bei all dem, was sie selbst für das Ballett und seine Geschichte geleistet haben, schwingt meistens noch etwas anderes mit: eine tiefe Demut vor der Größe dieses Künstlers und Menschen. Je mehr man in seinem Jubiläumsjahr über John Cranko hört, je mehr Bilder und Filmaufnahmen man von ihm sieht, desto trauriger wird man, ihn nie persönlich erlebt zu haben.

Bei der Münchner Cranko-Gala waren es Konstanze Vernon und Jürgen Rose, die vom Menschen John Cranko erzählten. Vom Künstler John Cranko erzählten seine Ballette, und da gab es viel Neues zu erfahren, denn die Dramaturgie des Abends spannte den Bogen von seinen internationalen Hits über die schönen Gala-Pas-de-deux bis zu sehr seltenen Stücken. Vor allem aber stellte das Programm die Münchner Kreationen des Choreografen in den Mittelpunkt und sammelte über den Abend verteilt so viele Belege für Crankos britisch-trockenen Humor, dass man sich angesichts dieser übermütigen kleinen Ballette voll Tanzlust und Ironie schon fast vorstellen konnte, wie die verlorenen Londoner „Cranks“-Revuen ausgesehen haben mögen.

Crankos Wirken in London und Stuttgart dokumentierten Gäste vom Birmingham Royal Ballet, dem Nachfolger des Sadler's Wells (Theatre) Ballet, und aus der Stuttgarter Kompanie, zusammen verwandelten sie drei Miniaturen aus „Brouillards“ in kleine Szenen voll Humor oder Tragik. Vier hervorragende Studenten der Bosl-Stiftung zeigten das witzige Quartett „Salade“, danach war Ambra Vallo vom Birmingham Royal Ballet die traurige Schöne und Tyrone Singleton der völlig unpoetische Clown in „The Lady and the Fool“. Dem „Holberg“-Pas-de-deux fehlte es in der Interpretation von Séverine Ferrollier und Lukáš Slavický ganz bestimmt nicht an Technik, aber an Jugendfrische und filigraner Feinheit.

Nicht immer optimal besetzt waren Crankos drei große Handlungsballette. Als „star-crossed lovers“ überzeugten Heather Ogden und Nehemiah Kish vom National Ballet of Canada durch ihre schöne Linie, sie ließen es aber dummerweise genau an dem Fehlen, worauf uns Konstanze Vernon direkt davor aufmerksam gemacht hatte: das Hineinwerfen und Sich-selbst-Vergessen, die Leidenschaft an der Grenze zum Sturz. Die „Zähmung“ war noch zahmer, Greta Hodgkinson und Alen Bottaini tanzten geradezu ernüchternd unspektakulär. In „Onegin“ überraschte die ansonsten so elegante, kühle Julie Kent vom ABT durch tiefe Emotion und eine subtile Dramaturgie der Schlussszene, während Robert Tewsley den berühmten Pas de deux wie so viele Onegins durchlitt: in stirnrunzelnder Dauerverzweiflung, ohne zwischen Reue, Hoffnung, Liebe und existenzieller Angst hin- und hergerissen zu sein.

Crankos „Schwanensee“-Fassung in Jürgen Roses prachtvoller Ausstattung ist in München durch eine modernere, aber fadere Version von Ray Barra und Ausstatter John Macfarlane ersetzt worden. Das Verlorene gab es nun in Schwarz und Weiß zu bestaunen, besetzt mit Roberta Fernandes in langbeiniger, aber dezent verschusselter Eleganz und einer wahrhaft erhaben leidenden Bridget Breiner. Friedemann Vogel strahlte im schwarzen Pas de deux nicht ganz so brillant wie später in seinem wunderbar freien, lyrischen Solo in „Brouillards“.

Das eigentliche Ereignis dieser Gala aber waren nicht unbedingt die Gäste, sondern die Stücke, was bei den Terpsichore-Galas dankenswert oft der Fall ist. Zu den faszinierenden Entdeckungen, die zum Teil seit zwanzig Jahren nicht mehr auf einer Bühne zu sehen waren, gehört „Ebony Concerto“, der Pas de trois mit den grellbunten Perücken im Afrolook. Von Strawinskys jazzigem Bläserkonzert ließ Cranko sich hier zu einer poppig-schrillen, einzigartigen Mischung aus Klassik und Revue inspirieren. Ein wenig öfter immerhin sieht man „Legende“, den elegischen Pas de deux mit den extrem schwierigen Hebungen, in die Marlon Dino seine Partnerin Lucia Lacarra ohne die kleinste Unsicherheit hinaufwarf. Ansonsten aber steht er wie ein Holzklotz neben der filigranen, oft hyperstilisierten Lacarra, es fehlt ihm an Phrasierung, Dynamik, Eleganz. (Ganz ähnlich ergeht es beim Mariinsky-Ballett Uljana Lopatkina mit ihrem neuen Lieblingspartner Ivan Kozlov - mit so einem großen, stabilen (und deshalb meist langsamen) Mann kommt die Ballerina natürlich toll raus und hat keine tänzerische Konkurrenz neben sich zu befürchten, am Ende aber verliert das Paar dadurch an Glanz.)

Das Ballett mit dem merkwürdigen Namen „Katalyse“ entstand 1961 in Stuttgart, wo heute zur gleichen Schostakowitsch-Musik „Kazimir's Colours“ von Mauro Bigonzetti getanzt wird. Schade eigentlich, denn das Stück wirkt gleich auf den ersten Blick viel raffinierter als zum Beispiel „L'Estro Armonico“, das in Stuttgart immerhin die Cranko-Schule im Programm hat. Der Münchner Ausschnitt aus „Katalyse“ zeigte deutliche Züge von Balanchines abstrakten Vierer-Strukturen, die Cranko aber viel leichtfertiger durcheinanderwirbelt. Man versteht immer besser, warum George Balanchine nicht gut auf Cranko zu sprechen war - der Stuttgarter Choreograf ließ in der heiligen, strengen Neoklassik den Schalk aufblitzen und ironisierte immer wieder Balanchines reinen Formenglauben (ob mit Absicht oder aus Unvermögen, das bliebe noch herauszufinden). „Salade“ ist im Grunde eine Balanchine-Parodie, „Apollo“ mit Hörnchen sozusagen. Und wie in jeder Münchner Terpsichore-Gala haben wir wieder etwas gelernt.

 

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