Ohne Permafrost keine Ewigkeit

Tanztheater aus Schweden: „Haunted Dancehall“ in Ludwigsburg

Ludwigsburg, 25/06/2008

„Dream a little dream of me“ - ein Eisbär in Cowboystiefeln (Pär Ulander) entlockt Keyboard und Akkordeon bekannte Oldies. Viel Musik und Sprechtheater, wenig Tanz, balanciert „Haunted Dancehall“ an der Grenze von Traum und Wirklichkeit. Das Stück des Regieduos Carina Reich und Bogdan Szyber aus Stockholm - in deutscher Erstaufführung bei den Ludwigsburger Festspielen - erinnert in Machart (Revue-Elemente) wie Motivation (ungelebte Träume) an Pina Bauschs Tanzkollagen aus den 80er Jahren. Wie Bausch mit Tänzerpersönlichkeiten und Schauspielergrößen à la Mechthild Grossmann punktet, sind es auch bei dieser Produktion aus Europas Norden die Darsteller, die überzeugen. Weniger gelungen ist der Regie Timing und Phrasierung. Manche Pointe verpufft, mancher Witz endet als Rohrkrepierer. Beispielsweise der vom Eisbären, der sich den Defrost-Modus wünscht, um Vergänglichkeit zu erleben, statt im Permafrost bis in alle Ewigkeit konserviert zu sein.

Glanz und Gloria vergangener Ballsaalherrlichkeit, ein Riesenlüster, gestrandete Typen hängen an einer illuminierten Bar ab. Eine schüchterne Disco-Queen (Cecilia Roos), die durch Mitwippen Anschluss (an wen auch immer) sucht. Ein Vamp aus den 20er Jahren mit Gedächtnislücken (Charlotte Engelkes) und zwei Braunbären (Dag Andersson, Jimmy Meurling), die auf Rollschuhen ein bisschen (Eis-) Kunstlauf veräppeln. Tragikomisch bis albern überspielen die Gestalten ihre Vereinsamung mit Show- und Steppeinlagen. Ein kindliches Turniertanzpaar dreht sich superprofessionell im Walzerrhythmus.

Es wird parliert - über domestizierte Menschen, Phantomschmerzen und Pillen, die beim Vergessen helfen. Sätze wie: „You can take the bear out of the forest, but you can’t take the forest out of the bear“ sind sichere Lacher. Jeder will gern im Mittelpunkt stehen, buhlt um die Gunst der Zuschauer, doch nicht jeder ist zur Rampensau geboren. Manchmal helfen rhetorische Tricks. So fragt beispielsweise die zierliche Ika Nord - in Schweden ein TV-Promi und für’s Ensemble, ob ihrer fantastisch geschmeidigen, gleichwohl akzentuierten Körpersprache, Gold wert - nach jeder ihrer parodistischen Pantomimen: „Did you see me?“. Wäre man nicht von Effekten übertölpelt worden, hätte man sie gesehen, ihre Odyssee ohne Worte, ein historischer Parcours durch die Geschichte großer Frauen von Jeanne d’Arc und Marie Antoinette über Florence Nightingale und Mata Hari bis Mutter Teresa! Einsame Spitze.

Neben Nord beeindruckt Lars Bethke, im Programmheft als „Schauspieler“ tituliert. Ob er als schnittiger Kapitän, schweißtriefender Krokodiljäger oder dem Pfeilregen entkommener Robinson Crusoe aufkreuzt, gewinnt er seinen Rollen jene Portion Ironie ab, von der der Spuk im Tanzsaal lebt. Rasant schwirren imaginierte Pfeile an, jeder trifft einen anderen Körperteil. Schmerz gekrümmt zieht dich der Held die Spieße aus dem Leib, gar aus dem Auge und produziert dazu die entsprechenden Geräusche. Ein fantastischer Soundtrack, stimmgewaltig und besser als jede Geräusch-Synthetik aus der Spielkonsole. Nach dieser Slapstick-Nummer wissen die Zuschauer, was er meinte, als er sagte: „Hey Leute, wenn ihr wüsstet, was ich durchgemacht habe!“. Übrigens sein Standardsatz, mit dem er jede seiner abenteuerlichen Episoden einleitet.

 

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