Mit Richard Strauss nach Dubai und Paris

Finale der 34. Hamburger Ballett-Tage

oe
Hamburg, 11/07/2008

Die dritte Vorstellung des Richard-Stauss-Abends, mit dem die 34. Hamburger Ballett-Tage am 20. Juni begonnen haben. Supervolles Haus, mit zahlreichen Kartensuchern im Kassenraum. Welche andere deutsche, welche internationale Stadt kann sich dessen rühmen? John Neumeier at 66 at the top! Gleichwohl eher ein temperierter Erfolg. Auf dem Programm Neumeiers zuerst 1977 in Wien erstmals choreografierte „Josephs Legende“ von Richard Strauss (damals mit Judith Jamison und Keven Haigen als umjubelten Stars) – plus, neu, „Verklungene Feste“, Straussens Couperin-Hommage aus den Jahren 1923 bis 1941. Eine schwierige Werkfolge, denn, wie man's auch dreht, beide Stücke ergänzen einander nicht komplementär, auch wenn die Dramaturgie versucht, beide als Abschied vom alten Europa zu erklären („Josephs Legende“, uraufgeführt in Paris, unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg – „Verklungene Feste“ anno 1941 in München).

Eigenartig, dass Neumeier, ein glühender Apologet des gleichzeitigen Gustav Mahler, bisher außer der mehrfach einstudierten „Josephs Legende“ einen großen Boden um Strauss gemacht hat (entsinnt sich noch jemand an seinen „Don Quixote“, die Variationen für Cello und Orchester?). Nicht unintelligent die Werkkoppelung – nur: die „Josephs Legende“ als musikalisch gründlich überdimensionierte Schlussapotheose, gefolgt von den eher kammermusikalisch ziselierten „Verklungenen Festen“, das ist so, wie wenn man auf Mahlers „Sinfonie der Tausend“ ein Haydnsches Streichquartett folgen ließe. Ein Verstoß gegen alle Theatererfahrung! Neumeier hat ihn gewagt – und gewonnen, denn die „Verklungenen Feste“ sind das entschieden bessere, ungemein vielgestaltige und substanzhaltigere Ballett.

Offenbar hält Neumeier das Hamburger Ballettpublikum für intelligenter als seine Kritiker. Gefeiert wurde er nach dieser Wiederholungsvorstellung jedenfalls, als handelte sich's um eine Premiere. Auf dem Weg durch die Jahrzehnte hat Neumeier seine „Josephs Legende“ dramaturgisch leicht entschlackt (wie Balanchine weiland seinen „Apollon musagète“). Er sollte darin noch weitergehen und sich am besten auf Straussens „Symphonisches Fragment“ beschränken, den erotischen Konflikt zwischen Potiphars Weib, Potiphar und den Knaben Joseph. Denn der Rest ist Füllsel, dramaturgisch, musikalisch und auch choreografisch. Am überflüssigsten ist die Gestalt des Engels – ein biblischer Hermaphrodit. Und wenn die Story dadurch auch ihren biblischen Hintergrund verlöre – der ist in der Hamburger Inszenierung ohnehin so weitgehend entkernt, dass das Ballett – neu und zwar todschick kostümiert vom Schweizer Mode-Designer Albert Kriemler – in dieser Version auch „Liebe und Verklärung in Dubai“ heißen könnte. Auf die erotische Spannung der Dreieckskonstellation würde man allerdings ungern verzichten. Dazu hat sich Neumeier eine Menge einfallen lassen, und seine drei Hamburger Protagonisten (in der Premiere hießen sie Kusha Alexi, Amilcar Moret Gonzales und Alexandre Riabko, in dieser Vorstellung tanzten Joelle Boulogne, Carsten Jung und der Ex-Mannheimer-Karlsruher Thiago Bordin) entzündeten ein erotisches Feuerwerk, bei dem von einer Energiekrise nicht die Rede sein konnte.

Nach der Pause dann also die „Verklungenen Feste“: achtzehn choreografische Miniaturen für fünf Solistenpaare plus zehn Gruppentänzer und vier Eleven, die meisten als Duos sehr auf das individuelle Profil der Tänzer zugeschnitten. Ohne direkten Bezug auf die Titel und stilistischen Vorbilder der Couperinschen Modelle zu nehmen, gleichwohl sich eng an ihren musikalischen Duktus haltend (den Christoph Eberle suggestiv aus den Hamburger Philharmonikern heraus zu kitzeln verstand). Neumeier hat schon immer einen Hang zu Party-Balletten gehabt – siehe seine amerikanische Variante in seinem Bernstein-Abend oder seine Chopinsche Teestunde. Aber diese melancholisch getönten „Verklungenen Feste“ bieten einen bisher nicht bei ihm gesehenen Reichtum an Nuancen und Details – auch humoristischen Charakters – und auch sie wieder von Albert Kriemler höchst elegant kostümiert. Von den Hamburgern getanzt, offerieren sie eine Vertrautheit und Intimität im Umgang miteinander, die man gern für ein dezidiertes Hamburger Charakteristikum hält, durch das sich die Neumeier-Kompanie von den großen anderen deutschen Opernballetten in Berlin, München und Stuttgart unterscheidet.

Neumeier hält den deutschen Titel für unübersetzbar und plädiert als englische Version stattdessen für „The Party is Over“. In Zusammenhang mit der Uraufführung der Musik in den letzten Kriegsjahren meint man unter all der Unbeschwertheit das ferne Donnergrollen der Geschütze zu hören. Es ist ein Ballett, das sozusagen auf doppeltem Parkett getanzt wird. Ich musste an Paris denken, das Paris während der deutschen Okkupation, das ja für die deutschen Künstler (und Soldaten) so überaus attraktiv war (siehe Werner Egk, Furtwängler, Karajan und eben auch Strauss). Und so hätte es mich nicht gewundert, als Gast auf dieser Endzeit-Party auch Ernst Jünger zu begegnen.

 

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